Ausgegraben und dann doch wieder eingegraben – Die Entdeckung und Bewahrung einer wissenschaftlichen Sensation

04.04.2024 Sandra Goertz

Entscheidend für die Bewertung der Fundstelle Gerhardsseifen war eine Sondage 2007 quer durch die Fundstelle (Foto: Deutsches Bergbau-Museum Bochum/Jennifer Garner).

Was bisher geschah

Bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden Forschungen zur eisenzeitlichen Eisenerzeugung im Siegerland durchgeführt. Das Deutsche Bergbau-Museum Bochum stieg besonders engagiert ab den 2000er Jahre in die Thematik ein und realisierte Prospektionen sowie Sondagen in der gesamten Region. Eine Fundstelle fand dabei besondere Beachtung: Eine künstliche Terrasse bei Siegen-Niederschelden am Bach Gerhardsseifen.

Eine hoffnungsvolle Fundstelle

Der Heimatforscher Otto Krasa entdeckte hier neben dem kleinen Bach Gerhardsseifen eisenzeitliche Schlacken in den 1930er Jahren. Die Fundstelle geriet dann aber in Vergessenheit, da Krasas Fundstellenbeschreibung nicht genau verortet war.

Der Haubergsvorsteher Jürgen Sänger entdeckte zum zweiten Mal die Fundstelle in den 1980er Jahren und präsentierte sie sowohl der Archäologischen Denkmalpflege als auch den Forschenden des Deutschen Bergbau-Museums Bochum im Jahr 2002, als diese diesen Teil des Siegerlandes besichtigten.

Topographische Karte des Gerhardsseifens samt Magnetogramm der geophysikalischen Prospektion 2003 (Posselt und Zickgraf Prospektionen GbR Marburg). Zum Beginn der Grabungen 2009 wurde noch angenommen, dass die wesentlichen Anomalien des Magnetogramms Schlackenhalden der Eisenzeit sind (Grafik: Ruhr-Universität Bochum/Manuel Zeiler auf Grundlage Posselt und Zickgraf GbR Marburg).

Thomas Stöllner vom Deutschen Bergbau-Museum Bochum initiierte eine geophysikalische Prospektion und bodenkundliche Bohrungen 2003. Jennifer Garner (ebenfalls Deutsches Bergbau-Museum Bochum) realisierte eine Sondage 2007. Wichtiges Zwischenergebnis war, dass hier eine gut erhaltene eisenzeitliche Fundstelle erwartet werden konnte, da insbesondere die Sondage aussagekräftige Schlacken, Keramik und Radiokarbondaten lieferte.

Thomas Stöllner erreichte die Förderung eines gut finanzierten Drittmittelprojektes durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, dass sich dieser Fundstelle 2009-2010 widmete. 2009 war aber für niemanden vorstellbar, dass sowohl die Geländearbeiten als auch der Projektabschluss erheblich anders verlaufen würden als geplant.

Die archäologischen Ausgrabungen starten und bleiben stecken.

  • Händisch – wegen der Umweltschutzauflagen – legten 2009 Archäologinnen und Archäologen eine Fläche über 200 Quadratmeter frei (Foto: Ruhr-Universität Bochum/Manuel Zeiler).

  • Im hangseitigen Bereich der Fundstelle gelangte so bereits 2010 die Erfassung und Ausgrabung eisenzeitlicher Relikte (Foto: Ruhr-Universität Bochum/Manuel Zeiler).

Es wird spannend

Angesichts der Erfahrungen bei anderen eisenzeitlichen Verhüttungsplätzen des Siegerlandes, die zu kleinflächig gegraben wurden, ordnete Thomas Stöllner für die Ausgrabungen am Gerhardsseifen an, dass hier großflächig gegraben werden musste. Wegen Auflagen seitens des Naturschutzes war dies aber nur per Hand zu leisten und kostete viel Zeit. Die Grabungen 2009 bis 2010 standen unter der Leitung von Manuel Zeiler (Ruhr-Universität Bochum), da die Ruhr-Universität und die LWL-Archäologie für Westfalen Kooperationspartner des Deutschen Bergbaumuseums waren (und noch heute sind).

2009 gruben die Archäologinnen und Archäologen auf einer Fläche von ca. 240 Quadratmetern wochenlang den Oberboden ab und entdeckten eine neuzeitliche Meilerwerkstatt!

Eine neuzeitliche Köhlerei des 17. Jahrhunderts wurde abgegraben um an die darunter befindlichen Schichten des Mittelalters und der Eisenzeit zu gelangen (Foto: Ruhr-Universität Bochum/Manuel Zeiler).

Ein Neuanfang und ein unerwartetes Ende

Direkt unter dem Oberboden fanden sich die Standspuren und der Untergrund zweier Platzmeiler, die per Radiokarbonmethode in das 17. Jahrhundert eingeordnet werden konnten. Diese massiven Relikte waren bisher weder durch die geophysikalische Prospektion noch durch die Sondage aufgefallen. Nun war es möglich, die geophysikalische Prospektion des Jahres 2003 zu verstehen: Wurden bis 2010 noch der Großteil der Anomalien im Magnetogramm der Prospektion als Haldenstrukturen der Eisenzeit gedeutet, war nun klar, dass sie lediglich die neuzeitlichen Meilerphasen abbilden, die die älteren Epochen überlagern.

Erst 2010 waren die Meilerschichten archäologisch abgetragen und endlich wurden Zeithorizonte vor der Neuzeit erreicht. Es handelte sich um Relikte einer mittelalterlichen Verhüttungswerkstatt und denjenigen einer eisenzeitlichen. 2010 wurde auch eine Schlackenbreccie entdeckt – es handelt sich hierbei um einen eisenzeitlichen Schmiedebereich – und ferner erreichten die Ausgrabungen ein Areal, wo ein eisenzeitlicher Verhüttungsofen im Untergrund vermutete wurde. Bedauerlicherweise mussten aber die Ausgrabungen nun eingestellt werden: Die hierfür zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel waren erschöpft und es war ein neuer Förderungsantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft nötig. Dieser wurde 2011 abgelehnt. Außerdem verließ Manuel Zeiler das Projekt zugunsten einer Festanstellung bei der LWL-Archäologie für Westfalen in Olpe.

Nun bewilligte doch die Deutsche Forschungsgemeinschaft dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum erhebliche finanzielle Mittel und unter der Leitung von Jennifer Garner starteten die Ausgrabungen am Gerhardsseifen erneut – massiv unterstützt von der LWL-Archäologie für Westfalen.

  • 2012 fanden die wichtigsten Entdeckungen statt: hier ein eisenzeitlicher Verhüttungsofen (Foto: Deutsches Bergbau-Museum Dominic Bachmann).

  • Die Ausgrabungen legten sogar einen zweiten eisenzeitlichen Verhüttungsofen frei, der aber schon massiv in der Eisenzeit überprägt worden war (Deutsches Bergbau-Museum Dominic Bachmann).

  • Eisenzeitliche Verhüttungsöfen wie diejenigen am Gerhardsseifen können derart ausgesehen haben. Der Ofenvorbereich samt Ambossstein diente dazu, die nach der Verhüttung gewonnene Luppe zu Stahl auszuschmieden (Grafik: Deutsches Bergbau-Museum/Jennifer Garner und LWL-Archäologie in Westfalen/Manuel Zeiler

Es geht rund

Mit zahlreichen tiefreichenden Sondagen in die existierende Grabungsfläche wurde die Stratigraphie verstanden. Der vermutete Standort eines eisenzeitlichen Rennofens war tatsächlich korrekt und zudem wurde ein weiterer Rennofen aus der Eisenzeit freigelegt. Eng damit verschachtelt fanden sich darüber hinaus die Standspuren zweier mittelalterlicher Rennöfen samt Abstichschlacken.

Der nächste Arbeitsschritt war nun, dass alle diese Befunde per archäologische Ausgrabung zerteilt und somit zerstört werden würden. An den eisenzeitlichen Öfen wurden bereits erste Schnitte durch die Denkmalsubstanz gelegt.

Der August 2012 bedeutete dann aber einen Wendepunkt: Die gut erhaltenen Befunde sowohl der Eisenzeit als auch des Mittelalters auf engstem Raum führten zu regelrechten Besucherströmen am Gerhardsseifen. Jürgen Sänger äußerte als erster den Wunsch, dass diese Befunde nicht durch weitere Ausgrabungen zerstört werden sollten, sondern, dass sie der Region zugänglich gemacht werden müssten. Zahlreiche Besucher, darunter auch Vertreter verschiedener Kommunen, der Stadt Siegen und des Heimatbundes bekräftigten die Forderungen. Seitens der Politik wurde als Möglichkeit aufgezeigt, dass eine Bewahrung und Ausstellung der Befunde am Gerhardsseifen finanziell möglich wäre.

Dies stellte die Archäologen vor ein Dilemma: Die Fördermittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft waren nämlich nur dazu da, dass der Fundplatz ausgegraben wird und eben keine Erhaltung realisiert wird. Des Weiteren wäre die Abgrabung beispielsweise der beiden eisenzeitlichen Verhüttungsöfen wichtig gewesen, um deren Aufbau zu verstehen und um zu erforschen, ob hinter bzw. unter den Öfen Vorgängeranlagen liegen. Zugleich waren von Anfang an die Archäologen aber auch davon fasziniert, die Befunde des Grabungsjahres 2012 zu erhalten, zu präsentieren und eben nicht durch Ausgrabung zu zerstören.

  • 2012 wurden die gut erhaltenen archäologischen Befunde gesichert und zum Teil – wie hier – verzimmert – damit die daran anschließende Überschüttung keine Gefahr darstellt (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/Manuel Zeiler).

  • Denn tatsächlich mussten die Befunde überschüttet werden. Hier im Bild die mit Folien überdeckte Grabungsfläche vor ihrer Zuschüttung (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/Manuel Zeiler).

Die Würfel sind gefallen...

Trotz großer Bedenken erklärten sich die Forschungskooperationspartner am Gerhardsseifen im August 2012 dazu bereit, die angetroffene Befundsituation zunächst einzumotten.

Die sensiblen Befunde wurden mit Erdsäcken stabilisiert bzw. mit Holz verzimmert und dann mit dem kompletten Aushub dreier Grabungskampagnen bedeckt.

Thomas Stöllner stimmte mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft diese Situation ab und die LWL-Archäologie für Westfalen trat als Garant ein: Sollte die Erhaltung und Präsentation der Befunde mittelfristig nicht möglich sein, würde sie die Ausgrabungen abschließen.

Ein jahrelanger und kräftezehrender Prozess begann …

 

Text: Manuel Zeiler

Kategorie: Außenstelle Olpe

Schlagworte: Olpe · Siegerland · Montangeschichte