Der exakte Standort des/der vor 1160/80 entstandenen Kirchengebäude(s) bleibt damit zwar weiterhin ebenso unbekannt, wie dies auch für die zugehörige Bauausführung in Form und Material gilt, jedoch sehen wir nun hinsichtlich deren grundsätzlicher Existenz klarer. Festzuhalten sind dank der archäologischen Untersuchung vor allem zwei wesentliche neue Schlussfolgerungen: Zum einen existierte in Lübbecke bereits vor der Mitte des 12. Jahrhunderts definitiv eine mit dem Bestattungsrecht ausgestattete Pfarrkirche, zum anderen darf der Kirchstandort auf Basis der Datierung des Skelettmaterials vor 873 als gesichert gelten. Ob es sich dabei ursprünglich um eine Eigenkirche handelte, die später zu einer Pfarrkirche umgewandelt wurde, oder ob es sich um eine Urpfarrei handelte, die erst vom Bistum Minden gegründet wurde, muss zunächst offenbleiben.
Der Befund ist aber darüber hinaus auch noch in einem anderen, größeren Zusammenhang wichtig. Wie Publikationsvorhaben der LWL-Archäologie für Westfalen bald zeigen werden, zeichnet sich der Zeitraum ab der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts in Ostwestfalen vor allem durch „Migration“ / Abwanderung und instabile Siedlungsverhältnisse aus. Ab der 2. Hälfte des 7. bis zum frühen 8. Jahrhundert ist in archäologischen Befunden jedoch zunehmend eine (Orts-)Konstanz von Siedlungen und Hofplätzen zu beobachten. Spätestens ab dem beginnenden 9. Jahrhundert erfolgte eine regelhafte Bestattung auf den entstehenden Kirchhöfen. Aber nicht nur das: Die genannte Konsolidierungsphase zeichnet sich außerdem durch eine Wiedernutzung überwiegend eisenzeitlicher Wallburgen in unmittelbarer Nähe zu den sich formierenden Siedlungskernräumen aus. Sie spiegeln in gewisser Weise auch die Elitenbildung wider. Offenkundig ist dabei ein enger Zusammenhang zwischen (ländlichen) frühmittelalterlichen Siedlungen und jenen Burganlagen. Für Lübbecke ist dieser Bezug über die Wiedernutzung der im Ursprung eisenzeitlichen Wallburg „Babilonie“ nachvollziehbar, welche auf Basis der Keramik im ausgehenden 8. bzw. (frühen) 9. Jahrhundert erfolgte.
Die nunmehr deutlicher gewordene „Entstehungsgeschichte“ Lübbeckes und die Ausstattung mit einer Pfarrkirche, welche sich mit dem Skelettfund nun deutlicher fassen und zeitlich einordnen lässt, ergänzt das im Entstehen begriffene Bild der genannten gesellschaftlichen Entwicklung der Karolingerzeit. Dies gilt auch im Abgleich mit anderen Beispielen gleicher Zeitstellung und deren äquivalente Nutzung des Siedlungsumfeldes.
Da die Sanierungsarbeiten an der Andreaskirche auch in den kommenden Jahren immer wieder mit Bodeneingriffen verbunden sein werden, bleibt zu hoffen, dass weitere Indizien hinzukommen, die das bislang entstandene Bild zusätzlich ergänzen. Dies gilt besonders für diejenigen Arbeiten, welche im Innenraum anvisiert sind und evtl. weitergehende Erkenntnisse zum älteren Vorgänger ergeben dürften.
(S. Spiong // M. Thede // K. Wegener)