Nicht der Rede wert? Archäologische "Sensationen" in der Presse und der Sinn von Archäologie

29.12.2025 Sandra Michalski

Diese Metallkugel wurde von einem Landwirt in Havixbeck im Kartoffelernter angetroffen. Bei der Fundvorlage stellte sich heraus, dass das Objekt ein Loch aufweist und daher keine Kanonenkugel ist. (Foto: LWL/U. Lehmann)

Die meisten Meldungen über archäologische Entdeckungen in Westfalen gelangen über unsere Pressestelle an die Medien. Manche Nachrichten gehen aber den umgekehrten Weg und kommen über die Medien zu uns. So gingen neulich zwei Meldungen aus dem Münsterland durch die regionale Presse: In Havixbeck fand ein Landwirt bei der Kartoffelernte eine schwere Metallkugel, die auf den ersten Blick aussah wie eine Kanonenkugel. Und in Heek-Nienborg will das Team um Winfried Leusbrock von geo-Radar NRW neben einer seit längerem vermuteten Turmhügelburg nun auch Hinweise auf ein Römerlager entdeckt haben. Die Westfälischen Nachrichten witterten eine ‚historische Doppelsensation‘.

Trotz unterschiedlicher Hintergründe haben die Meldungen etwas gemeinsam: Beide betrafen Funde bzw. Beobachtungen durch archäologische Laien, die bereits durch die Presse gingen, bevor fachliche Expertise eingeholt wurde. Und beide sind mitnichten eine archäologische Sensation!

Im Fall der mysteriösen Kugel von Havixbeck war es nicht zuletzt dem WDR zu verdanken, dass der Fund ordnungsgemäß der LWL-Archäologie vorgelegt wurde. Insofern haben sowohl Finder als auch Reporter alles richtig gemacht. Leider stellte sich bei der Fundvorlage schnell heraus, dass es sich keinesfalls um eine Kanonenkugel, sondern eher um einen industriell gefertigten – oder, wie es ein Kollege formulierte, ‚trekkerzeitlichen‘ - Aufsatz handelt. Im Übrigen wäre auch eine Kanonenkugel zwar ein kurioser, aber kein außergewöhnlicher Fund. Unter den etwa 20.000 Metallfunden, die jährlich von lizenzierten Sondengehenden in Westfalen vorgelegt werden, finden sich immer wieder solche Artilleriegeschosse.

Reste mittelalterlicher Turmhügelburgen oder ‚Motten‘, wie hier die Schwatte Borg bei Dorsten-Lembeck, sind ein fester Bestandteil der westfälischen Kulturlandschaft. (Foto: RUB/B. Song)

Bei einem unbekannten Römerlager im nördlichen Münsterland wäre die Situation schon anders. Schade nur, dass es dafür in Heek bislang keinerlei Indizien gibt! Die geradlinigen Strukturen am Ufer der Dinkel, die das Team von geo-Radar NRW auf Luftbildern beobachtet hat, sind eher auf neuzeitliche Entwässerungsgräben zurückzuführen; die Bleigewichte, die ein Sondengänger vor Jahren in der Nähe gefunden hat, sind wenig spezifisch und daher nicht klar datierbar. Keine Funde von großer wissenschaftlicher Bedeutung, und noch lange keine Hinweise auf ein Römerlager also. Durchaus plausibel scheint hingegen, dass der bereits zuvor entdeckte Doppelgraben im unmittelbaren Umfeld zu einer mittelalterlichen Turmhügelburg gehörte. Allerdings ist auch dies kein Ausnahmefund. Allein im Münsterland sind Dutzende solcher Anlagen bekannt, und nahezu jedes Jahr werden weitere entdeckt. In diesem Zusammenhang von einer ‚Sensation‘ zu sprechen, wie es die Westfälischen Nachrichten vom 14.11. gleich sechsmal in einem Artikel tun, ist also maßlos übertrieben.

Positiv betrachtet bieten solche Meldungen eine willkommene Abwechslung in der täglichen, von Krisen dominierten Nachrichtenflut. Sie zeigen außerdem, dass generell ein breites Interesse an Archäologie und Geschichte vor der eigenen Haustür herrscht, sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Medien. Dass sich manch vermeintliche Entdeckung im Nachhinein als ‚Ente‘ herausstellt, scheint weniger relevant; spannend und unterhaltsam ist es allemal! Und Aufmerksamkeit für archäologische Themen ist doch immer gut, oder?

Für die Archäologie und Bodendenkmalpflege haben Nachrichten wie diese allerdings einen Haken. Das überzogene Medienecho zu sogenannten Sensationsfunden verstellt nicht nur den Blick auf wirklich neue Entdeckungen, sondern vermittelt darüber hinaus ein falsches Bild archäologischer Forschung. Denn die dreht sich weder um Sensationsfunde noch um wertvolle oder kuriose Objekte: Es geht darum, was wir aus den materiellen Überresten über das Leben, den Alltag, die Gewohnheiten und Ansichten, Umwelt und Krisen früherer Generationen lernen können. Wie eine Reise in ferne Länder bereichert und relativiert der Perspektivwechsel in die Vergangenheit unseren eigenen Blick auf die Welt. Geschichts- und Altertumsforschung ist daher immer auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Dasein. Nicht umsonst wird Archäologie im angloamerikanischen Raum der Anthropologie zugeordnet. Spuren der Vergangenheit zu entdecken ist also nicht das Ziel, sondern der Ausgangspunkt archäologischer Forschung. Bodendenkmäler sind schützenswert, weil sie im wahrsten Sinne eine verborgene, tiefere Ebene unserer Landschaft bilden; nicht, weil man dort schöne Keramik und Münzen finden kann!  

Das Problem der obengenannten Medienberichte ist somit nicht nur, dass die beiden Entdeckungen keine echten Sensationen sind. Vielmehr widerspiegeln sie ein allgemeines Problem der medialen Berichterstattung über Archäologie und Bodendenkmalpflege, die von außergewöhnlichen oder überraschenden Sonderfunden dominiert wird. Nicht selten werden dabei – bewusst oder unbewusst - stereotype Vorstellungen und Klischees bedient, wie man sie aus Hollywood-Filmen kennt. Das gilt für die rätselhafte Kugel von Havixbeck, die nun akribisch von Fachleuten erforscht werden soll, wie für die enthusiastischen Heimatforscher in Heek, deren Entdeckungen und Pläne im archäologischen Landesamt wenig Anerkennung finden.

Da Medienberichte über Archäologie von mehr oder weniger spektakulären Funden dominiert werden, entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, Archäologie sei irgendwas zwischen Schatzsuche und Briefmarkensammeln. Die Medien liefern zuverlässig, was ihr Publikum erwartet. Und in der Folge gehen auch Archäologen und Archäologinnen selbst vor allem dann an die Öffentlichkeit, wenn spektakuläre Objekte entdeckt werden. So entsteht ein Teufelskreis, der dem Fach mehr schadet als nutzt. Denn der oberflächliche und einseitige Fokus auf (vermeintliche) Sensationsfunde führt dazu, dass Archäologie von Teilen der Öffentlichkeit als unnützes Orchideenfach sowie Bodendenkmalpflege als bürokratische Schikane empfunden werden.

Um dem entgegenzuwirken, muss die Archäologie nicht zuletzt an der eigenen Vermittlung arbeiten. Dabei würde es natürlich helfen, wenn auch die lokale und regionale Presse eine fachliche Einschätzung einholt, bevor über die nächste (vermeintliche) archäologische Sensation berichtet wird!

Links:

https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/kanonenkugel-havixbeck-100.html

https://www.wn.de/muensterland/kreis-coesfeld/havixbeck/landwirt-findet-mysterioese-kugel-archaeologen-pruefen-verdacht-3408310?pid=true&ueg=default

https://www.wn.de/muensterland/kreis-borken/nienborg/historische-doppelsensation-funde-und-georadar-scans-lassen-aufhorchen-3433734?pid=true&ueg=default[JC1] 

https://www.lwl-archaeologie.de/de/blog/archaologie-ist-keine-schatzsuche-und-denkmalschutz-keine-schikane-haufig-gestellte-fragen-zum-denkmalschutz-und-zur-denkmalliste/

 

Autor: J. Coolen