Rentierjäger im Paderborner Land

17.07.2024 Corinna Hildebrand

Südöstlich von Steinhorst liegt im Paderborner Land auf einer weithin sichtbaren Geländekuppe an einem schwach geneigten Hang ein seit mehreren Jahrzehnten bekannter Fundplatz der späten Altsteinzeit. Er gehört zu den bedeutendsten Lagerplätzen der sogenannten Ahrensburger Kultur in Ostwestfalen-Lippe. Der Fundplatz ist zwar nur durch Oberflächenfunde bekannt, doch deuten Qualität und Quantität der charakteristischen Stücke aus hellgrau bis weiß patiniertem Geschiebeflint bereits jetzt auf die außerordentliche Bedeutung dieses Platzes für die Jäger der Ahrensburger Kultur hin.

Welt im Wandel

Akribisch sammelt Hermann Pongratz seit mehreren Jahrzehnten auf den Äckern des Paderborner Landes archäologische Funde. Der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger hat sich schon immer für die Steinzeit interessiert, sodass er in seiner Freizeit nach bearbeiteten Steinen Ausschau hält. Besonders stolz ist er auf die zahlreichen Funde, die aus der Altsteinzeit stammen. Hierzu zählen etwa mehrere Keilmesser aus Salzkotten-Oberntudorf aus der Zeit der Neandertaler, die etwa vor 60.000 Jahren während der letzten Kaltzeit in vielen Teilen Mittel- und Osteuropas, seltener in Westeuropa, typisch waren.
Aber auch kleinere Artefakte aus späteren Abschnitten der Altsteinzeit entgehen dem geschulten Auge von Hermann Pongratz nicht. Sie geben interessante Einblicke in das Leben der eiszeitlichen Jäger vor etwa 12.000 Jahren. Zu dieser Zeit wurden weite Teile der Norddeutschen Tiefebene und die nördliche Mittelgebirgszone durch einen Klimarückschlag erfasst. Während der sogenannten jüngeren Dryas, die etwa 1000 Jahre lang andauerte, mussten die Menschen mit deutlich kälteren Wintermonaten und kühleren Sommern zurechtkommen. In der Folge entwickelte sich in den weiten Tiefebenen eine Tundrenlandschaft: Zwergbirke sowie Wacholder prägten das Landschaftsbild und lichte Birkenwälder wuchsen in den Mittelgebirgen. Mit der sich verändernden Landschaft wandelte sich auch die eiszeitliche Tierwelt: Das Rentier streifte wieder durch die offene Tundra und wurde zur Hauptjagdbeute der Menschen.

Charakteristische Stielspitzen der Ahrensburger Kultur aus Steinhorst, Kr. Paderborn (Foto: LWL-AfW/C. Hildebrand).

Die letzten Eiszeitjäger

Die veränderte Umwelt und die neue Jagdbeute erforderten von den Menschen eine erhebliche Anpassung an die neuen Gegebenheiten. So streiften nun die Rentierjäger der sogenannten Ahrensburger-Kultur durch die weite Tundrenlandschaft Norddeutschlands. Auch im Paderborner Land schlugen sie ihre Lager auf und jagten die Rentiere mit Pfeil und Bogen. Als Bewehrung für die Pfeile wurden die sogenannten Stielspitzen verwendet; kleine, etwa 2 bis 5 cm lange Spitzen aus Feuerstein mit deutlich abgearbeitetem Stiel und abgesetztem Blatt. Sie sind charakteristisch für die Ahrensburger-Kultur. Die Jagd auf umherziehende Rentiere erforderte eine erhebliche Mobilität der Menschen, sodass sie keine ständig bewohnten Siedlungsplätze nutzten. Saisonal aufgesuchte Jagdlager an Flussübergängen und Engpässen waren nötig, um die Rentiere erfolgreich jagen zu können. Die Wohnplätze der eiszeitlichen Jäger befanden sich auf Geländekuppen und in Gewässernähe. So auch südöstlich von Steinhorst im Paderborner Land.

Späteiszeitliche Feuersteinhandwerker

Auf einer weithin sichtbaren Geländekuppe liegt an einem schwach geneigten Hang der seit mehreren Jahrzehnten bekannte Fundplatz der späten Altsteinzeit. Er gehört zu den bedeutendsten Lagerplätzen der Ahrensburger Kultur in Ostwestfalen-Lippe. Der Fundplatz ist zwar nur durch Oberflächenfunde bekannt, doch deuten Qualität und Quantität der charakteristischen Stücke aus hellgrau bis weiß patiniertem Geschiebeflint bereits jetzt auf die außerordentliche Bedeutung dieses Platzes für die Jäger der Ahrensburger Kultur hin.
Derzeit sind aus Steinhorst zahlreiche kurze Kratzer, Klingenkratzer und Stichel sowie knapp 90 typische Stielspitzen bekannt.

Altsteinzeitlicher Retuscheur mit Spuren des intensiven Gebrauchs (Fotos: LWL-AfW/C. Hildebrand).

Als neuer, bislang einmaliger Fund des Platzes ist ein länglich-flacher Retuscheur aus Tonschiefer hervorzuheben, den Hermann Pongratz kürzlich fand. Das 10,4 cm lange, 3,8 cm breite und etwa 1,4 cm dicke Geröll weist auf seiner gesamten Oberfläche verschiedene Gebrauchsspuren auf. Kleine Grübchen, kantenparallele Narben und Linien lassen auf einen intensiven Gebrauch des Gerölls als Retuscheur schließen. Komplettiert wird das Ahrensburger Inventar durch Klingen, Kernsteine und zahlreiche Abschläge, die zusammen mit dem Retuscheur eine Funktion des Fundortes als Werkplatz nahelegen.
Die zahlreichen Funde bei Steinhorst bezeugen, dass die sanften Anhöhen des Paderborner Landes bereits seit der späten Altsteinzeit durch die Menschen der Ahrensburger Kultur aufgesucht wurden. Sie folgten den Rentierherden und passten sie an Engpässen und Flussübergängen ab. Die nahegelegene Ems bot für den jägerischen Erfolg günstige Bedingungen.

 

Text: Alexandra Philippi