Überraschungen am laufenden Band – Brandgrab und Brunnen aus der Völkerwanderungszeit in Delbrück-Bentfeld

23.06.2025 Eva Johannhörster

Frisch geborgen: Aus der alten Kulturschicht stammt dieser Beschlag mit Öse von einem römischen Militärgürtel aus dem 4./5. Jahrhundert n. Chr. (Foto: EggensteinExca/Sven Knippschild).

Im Baugebiet an der Schafbreite in Delbrück-Bentfeld wurde Anfang Juni 2025 eine von der archäologischen Fachfirma EggensteinExca durchgeführte und von der LWL-Archäologie für Westfalen begleitete Ausgrabung abgeschlossen.

Das von Sven Knippschild und Phillip Robinson geleitete Grabungsteam konnte hier einen außergewöhnlichen Fundplatz dokumentieren, an dem ein umfangreicher Eschauftrag in den vergangenen Jahrhunderten die darunterliegende alte Kulturschicht und die von Menschen im Boden hinterlassenen Spuren vor Zerstörung geschützt hatte. Insgesamt erfassten die Ausgräber rund 400 archäologisch relevante Befunde, darunter zahlreiche Pfostengruben, unter denen sich zwei Gebäude sicher zu erkennen gaben, daneben noch zwei Grubenhäuser und verschiedenste andere Formen von Gruben sowie zwei Brunnen und ein Brandgrubengrab. Zudem wurden 750 Einzelfunde aus der alten Kulturschicht geborgen, davon über 600 metallene Objekte.

 

Erste Hinweise auf eine Besiedlung in der mittleren Römischen Kaiserzeit gab 2017 dieses Gefäßfragment (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/Corinna Hildebrand).

Bereits 2017 waren bei der Erschließung der unmittelbar benachbarten Wohnplätze „Am Weidenbach“ Siedlungsspuren aus dem 2./3. Jahrhundert n. Chr. erfasst worden.

 

Der Spielstein wurde aus einer Scherbe scheibenförmig zugerichtet. Hatten die Einheimischen sie vielleicht im benachbarten Bereich des ehemaligen Römerlagers in Anreppen aufgelesen und umgearbeitet? (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/Corinna Hildebrand).

Ein besonderer Fund war 2017 ein aus einer Terra Sigillata-Scherbe hergestellter Spielstein, der bereits anzeigte, dass die Bewohner des Areals an der Schafbreite Zugang zu römischer Sachkultur hatten.

Nur scheinbar unscheinbar: Das Brandgrubengrab Befund 531 im Planum. Die gelben Kärtchen markieren metallene Beigaben in der Grube, die hellen schraffierten Flächen sind Tiergänge, die das Grab durchziehen (Foto: EggensteinExca/Sven Knippschild).

Die neuen Ausgrabungen 2024/25 zeigten dann, dass auf dem hochwassergeschützten Areal südlich der Lippe wohl schon in der älteren Römischen Kaiserzeit ein Siedlungsplatz bestand und es auch noch eine völkerwanderungszeitliche Besiedlung gegeben hatte. Dass das Areal aber nicht nur als Siedlungs- sondern auch als Bestattungsplatz gedient hatte, beweist ein Brandgrubengrab.

Das Grab barg nicht nur Scheiterhaufenreste wie Holzkohle und unter hohen Temperaturen verbrannte Knochen (sog. Leichenbrand), sondern auch Teile von mitverbrannten Beigaben, darunter eine Tierkopfschnalle mit Beschlägen, eine Lanzenspitze, zwei Fibeln, einen in viele Stücke zerbrochenen Kamm aus Knochen und einen Feuerstahl. Die Schnalle belegt, dass der im 4./5. Jahrhundert n. Chr. bestattete Mann einen römischen Militärgürtel besaß. Vielleicht hatte er zu Lebzeiten als germanischer Söldner im römischen Militär gedient und das Ausrüstungsstück später mit in die Heimat gebracht? Das Bentfelder Grab ist ein besonders wichtiger Befund, weil es in Ostwestfalen die erste Bestattung ist, in dem Teile eines römischen Militärgürtels nachgewiesen werden konnten; diese waren hier, anders als in anderen Regionen, bisher nur aus Oberflächenfunden belegt.

Rutschige Angelegenheit: Tieferliegendes Planum in der Brunnengrube mit der eigentlichen Brunnenröhre und umgebenden Hölzern, die vermutlich ehemals zur Aussteifung der Baugrube in dem lockeren umgebenden Sand dienten (Foto: EggensteinExca/Sven Knippschild).

Als echte archäologische Sensation entpuppte sich in der Endphase der Ausgrabung schließlich ein Brunnen. Im anstehenden Sandboden erwarteten die Archäologen eigentlich keine nennenswerte organische Erhaltung und dachten daher anfangs an eine sehr flach angelegte Senke, die als Viehtränke gedient haben könnte. Bei der weiteren Ausgrabung zeigte sich dann aber ein komplexer Befund aus einer trichterförmigen Baugrube, in der sogar noch einige Konstruktionshölzer und Flechtwerkreste erhalten waren.

Die drei Baumstammsegmente der Brunnenröhre wurden vollständig gesichert und sollen jetzt weiter untersucht werden (Foto: EggensteinExca/Sven Knippschild).

Die eigentliche Brunnenröhre war aus drei Baumstammsegmenten zusammengesetzt worden und hatte einen Durchmesser von über 1 m.

Schön verziert: Eine völkerwanderungszeitliche Scherbe mit verschiedenen Stempelmotiven. Sie wurde direkt an der Brunnenröhre angelagert aufgefunden (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/Julia Hallenkamp-Lumpe).

Der Bau des Brunnens konnte durch typische Keramik in das 5. Jahrhundert und damit in die Völkerwanderungszeit datiert werden.

Jede Menge Holz: Bergung von Konstruktionshölzern aus der Brunnengrube (Foto: EggensteinExca/Sven Knippschild).

Die organische Erhaltung in der Brunnenröhre und der Grube war tatsächlich so gut, dass das Grabungsteam zahlreiche Hölzer, aber auch einen Lederrest und sogar Überreste von Insekten bergen konnte.

Zimmerer am Werk: Eines der geborgenen Konstruktionshölzer zeigt noch einen Zapfen, der für die Verbindung mit einem weiteren Konstruktionsholz benötigt wurde (Foto: EggensteinExca/Sven Knippschild).

Manche der erhaltenen Hölzer zeigen eindeutige Bearbeitungsspuren bzw. geben Hinweise darauf, dass sie wohl erst in zweiter Verwendung für den Brunnen genutzt wurden und vorher z. B. in Häusern verbaut gewesen sein könnten.

Rätselhafte Ritzungen: Handelt es sich dabei vielleicht um eine frühe Form von Zimmermannszeichen? (Foto: EggensteinExca/Sven Knippschild).

Völlig außergewöhnlich und für die Völkerwanderungszeit Westfalens einzigartig war dann am letzten Grabungstag noch der Fund eines Balkenstückes mit verschiedenen Bearbeitungsspuren, das bei der Bergung des der Brunnenröhrensegmente zutage befördert wurde. Dieses Balkenstück mit erhaltener Überblattung war sicher ehemals an einem Haus verbaut und wurde später für die Brunnenkonstruktion recycelt. Was diesen Holzfund aber hochgradig besonders macht, sind einige zeichenartige Ritzungen darauf. Ihrer möglichen Bedeutung müssen weitere Untersuchungen nachgehen.

Umgenutzte Mulde: Beim Abtiefen des später als Brunnen erkannten Befundes zeigte sich ein schwarzes Band mit viel Holzkohle. Unter ihm ist am tiefsten Punkt des Profils der oberste Rand der darunterliegenden Brunnenröhre zu erkennen (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/Julia Hallenkamp-Lumpe).

Sehr spannend ist auch der mögliche Zusammenhang zwischen der Aufgabe des Brunnens und der Anlage des Brandgrabes, denn über der Brunnenröhre lag eine holzkohlehaltige Schicht, die viele kleinteilige verbrannte Knochenstückchen enthielt, bei denen es sich vermutlich um Leichenbrand handelt; hierzu warten die Archäologen noch auf die Ergebnisse der anthropologischen Untersuchung.

Schön gestreift: Melonenperle mit eingearbeiteten Glasfäden. Etwa halb so große Vergleichsfunde sind aus einem Grab etwa der Mitte des 5. Jh. n. Chr. in Wulfen, kr. Köthen, bekannt (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/Andreas Madziala).

Sehr wahrscheinlich wurde die Brunnenmulde als Verbrennungsplatz genutzt, aus dem die Überreste eines (oder mehrerer?) Verstorbener dann nicht vollständig ausgelesen worden waren. Hinweise darauf sind auch in der Holzkohleschicht gefundene Reste zweier kleiner Glasperlen aus durchsichtigem bzw. blauem Glas sowie eine sehr große Perle aus grünem Glas sein, bei denen es sich um nicht ausgelesene Beigaben gehandelt haben könnte.

Jeder Eimer zählt: Bergung des lehmig-sandigen Sediments aus der Brunnenröhre. Aufgrund der dauerhaften Feuchterhaltung in diesem vom umgebenden Sand abweichenden Boden hoffen die Archäologen hier auf die Überreste von Pollen und anderen Pflanzenresten, um mehr über die Vegetation und Landschaft im Umfeld der Fundstelle zu erfahren (Foto: EggensteinExca/Sven Knippschild).

Im Nachgang zur Ausgrabung sind neben der Fertigstellung der Grabungsdokumentation sowie der Aufbereitung, Konservierung und Dokumentation des vielfältigen Fundmaterials nun verschiedene naturwissenschaftliche Analysen zur Datierung und Bestimmung von Funden und Befunden geplant. So wird etwa die gesamte Verfüllung des Brunnens geschlämmt, um noch die kleinsten archäologischen, zoologischen und botanischen Funde darin zu entdecken; außerdem wird ein Teil des Brunnensediments archäobotanisch untersucht, um durch die Bestimmung von Pollen hoffentlich erste Informationen über die Landschaft rund um Bentfeld vor gut 1600 Jahren zu gewinnen.

Diese Ergebnisse können dann mit einem Pollenprofil verglichen werden, das 2015/16 auf Ausgrabungen wenig weiter westlich in Bentfeld gewonnen wurde. So lassen sich hoffentlich Veränderungen in der Vegetation, der Landschaft und der Besiedlung zwischen um Christi Geburt und um 400 n. Chr. erkennen.

Mit der Auswertung der Ausgrabung in Bentfeld werden die Archäologen weitere Erkenntnisse zum Fundplatz und seiner Umgebung gewinnen. Besonders der völkerwanderungszeitliche Brunnen mit der ihn überlagernden Holzkohleschicht ist eine herausragende Quelle und in dieser Form in Westfalen bisher einzigartig. Auch die denkbare Nachnutzung seines Standortes als Verbrennungsplatz in möglicher Verbindung mit einem zeitgleichen Brandgrubengrab ist in der Region ein bisher singulärer Befund, genauso wie die noch zu deutenden Ritzungen auf dem Holzbalkenrest am Grund der Brunnenröhre. Die Archäologen erwarten daher mit großer Spannung die Ergebnisse aus der Radiokarbondatierung, Dendrochronologie, Archäobotanik, Anthropologie und Archäozoologie.

Ein Gott im Sand: Die Gemme mit der Ritzung des römischen Gottes Merker war ursprünglich an einem Fingerring befestigt (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/Andreas Madziala).

Der außergewöhnliche Fundplatz in Bentfeld liefert einen wichtigen Beitrag zu unserem Verständnis der Besiedlungsgeschichte entlang der Lippe seit der Zeit um Christi Geburt bis in die Zeit um 400 n. Chr. Auffällig ist die Parallele mit einem mehrperiodigen Siedlungsplatz in Salzkotten-Scharmede, wo 2016 Siedlungsspuren des 1.-4. Jahrhunderts n. Chr. zutage getreten waren und die Menschen ebenfalls Zugang zur römischen Sachkultur hatten, so wie es offenbar auch in Bentfeld der Fall war.

Nicht reintreten!: Dieses knapp 20 cm lange römische Messer wurde mit der Spitze nach oben weisend in einer kleinen Grube unter dem Fußboden eines Grubenhauses aufgefunden (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/Andreas Madziala).

Plätze wie die mehrperiodige Siedlungsstelle in Bentfeld helfen den Archäologen immer besser zu verstehen, wie die Menschen der Region in der Zeit der Ankunft der Römer und in den nachfolgenden Jahrhunderten lebten und wirtschafteten, über welche überregionalen Kontakte und Verbindungen sie verfügten und wie sich das Siedlungsgefüge in der Völkerwanderungszeit veränderte.

 

Julia Hallenkamp-Lumpe / Sven Knippschild