Während seiner jahrzehntelangen Sammeltätigkeit auf dem Erdwerk von Salzkotten-Oberntudorf konnte Hermann Pongratz bereits zahlreiche mittelpaläolithische Artefakte, darunter auch einige Keilmesser, auflesen. Die meisten dieser Funde stammen vom Ende der 1990er Jahre, doch nun ist ihm vor wenigen Monaten der Fund eines weiteren Keilmessers auf der Fundstelle gelungen.
Keilmesser sind eine der Leitformen des Mittelpaläolithikums und waren insbesondere im sogenannten Micoquien (ca. 100 000–45 000 v. Chr.) in Gebrauch, um Häute, Felle oder Fleisch zu schneiden. Auffällig ist ihre Ähnlichkeit mit Faustkeilen, und tatsächlich sind sie auch in einigen Faustkeil-führenden Inventaren vertreten. Doch während Faustkeile meist symmetrisch sind und zwei schneidende Längskanten aufweisen, besitzen Keilmesser nur eine schneidende Kante. Die Schneide ist meist auf beiden Flächen retuschiert. Der scharfen Arbeitskante liegt ein stumpfer oder grob zugerichteter Rücken gegenüber. Ein weiterer prägnanter Unterschied ist die Artefaktgröße: so sind Keilmesser oft kleiner als Faustkeile und messen nur selten mehr als 150 mm in der Länge. Das Oberntudorfer Stück fügt sich mit einer Länge von 73 mm, einer Breite von 59 mm und einer Rückendicke von 18 mm gut in das bekannte Spektrum der mittelpaläolithischen Keilmesser ein. Zudem besitzt das gut erhaltene Exemplar einen gestumpften Rücken und eine noch scharfe, gerade Schneide mit beidseitiger Flächenretusche. Das Besondere an dem Keilmesser ist das verwendete Rohmaterial: Der Neandertaler bediente sich nicht an dem in der Region vorkommenden, wenig attraktiven und kleinteiligen Feuerstein, sondern verwendete Dalarna-Ignimbrit – ein Milliarden Jahre altes Vulkangestein aus Mittelschweden, das ebenfalls mit den Gletschern während der Eiszeit bis nach Westfalen transportiert wurde. In Schweden wird dieses rötliche, graue bis braune Gestein auch als „Hälleflinta“, also „Felsenfeuerstein“, bezeichnet, da das scharfkantige Brechverhalten recht ähnlich zu jenem von Feuerstein ist. Von der Fundstelle in Oberntudorf liegen bereits etwa 200 mittelpaläolithische Artefakte aus Dalarna-Ignimbrit vor. Darunter sind neben Abschlägen und Kernen zwei weitere Keilmesser hervorzuheben, die bereits an anderer Stelle besprochen wurden.
Das neue Keilmesser aus Oberntudorf befindet sich derzeit in der Außenstelle Bielefeld der LWL-Archäologie für Westfalen, wo es nun fachgerecht fotografiert und gezeichnet wird. Anschließend wird das Objekt in Münster digital als 3D-Modell erfasst, um es auch online einer großen Öffentlichkeit präsentieren zu können.
Text: Alexandra Philippi