Von Meilerplätzen, Köhlern und Pottaschbrennern

07.03.2024 Corinna Hildebrand

In den tiefen Buchenwäldern des Eggegebirges liegen unter dicken Laubschichten die Relikte einer längst vergessenen Zeit. Doch sobald Roland Medicke aus Oesterholz seine Wanderschuhe schnürt, macht er sich auf die Spuren einer alten Industrielandschaft, die sich zwischen Altenbeken im Süden und Augustdorf im Norden erstreckt. Seine Ergebnisse teilt er mit der LWL-AfW Außenstelle in Bielefeld, der sich nun ein gänzlich neuer Blick auf diese frühe Industrielandschaft eröffnet.

Holzkohle – der Motor einer Region

Heute ist das Eggegebirge als „grüne Lunge“ Westfalens bekannt. Dass das nicht immer so war, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Bis in die 1930er Jahre prägten rauchende Kohlenmeiler die Region. Die Holzkohle war lange Zeit treibender Rohstoff für die Entwicklung der Wirtschaft – sie ist nicht nur leichter als Holz, sondern liefert wesentlich größere Hitze. Erst nach der Inbetriebnahme des Altenbekener Viadukts im Jahr 1853 und des Rehbergtunnels ab 1864 nahm die Bedeutung der Holzkohle ab. Die Eisenbahn fuhr nun in das Ruhrgebiet, und somit auch zur Steinkohle.

Köhler beim Brennen des Holzkohlenmeilers (Siegerland) um 1920 (Foto: Emil Blasius © LWL-Medienzentrum für Westfalen)

Lange Zeit prägten jedoch die Holzkohlenmeiler die ostwestfälische Landschaft. Das Holz wurde von einem Köhler zu Haufen geschichtet und mit Laub oder Grassoden bedeckt. Schließlich wurde auf den Meiler eine Erdschicht aufgebracht und er wurde angezündet. Solange der Meiler schwelte, musste der Köhler Tag und Nacht auf ihn achten. Es konnte zwei bis drei Wochen dauern, bis der Meiler gar war. Erst dann konnte der Köhler den Erdmantel entfernen und die Holzkohle freilegen. Diese verbrachte er auf die sogenannte Freiplatte neben dem Meiler und löschte sie dort mit Wasser ab. Danach wurde die Kohle auf den Wagen geladen und weggefahren. Nicht selten brannte ein Karren mitsamt der Holzkohle ab, weil die Ladung nicht ausreichend gelöscht wurde.
Doch war die Köhlerei in den frühen Jahrhunderten aufgrund des hohen Holzbedarfs, der aus der Eisenerzverhüttung resultierte, alles andere als nachhaltig. Denn seit der Eisenzeit bis in das 19. Jahrhundert hinein war die Holzkohle das einzige Rohmaterial, mit dem es gelang genug Hitze zu erzeugen, um Eisenerz zu schmelzen und das gewonnene Eisen zu verarbeiten. Ohne Holzkohle gäbe es keine schweren Werkzeuge, Maschinen und landschaftlichen Geräte, Motoren, Schienen oder Brücken aus Eisen, die unser Leben heute oftmals vereinfachen. Die erste urkundliche Erwähnung der Eisengewinnung im Eggegebirge im Jahr 1392 ist ein stiller Zeuge der etwa 600-jährigen Wirtschaftsgeschichte der Region. Doch war die Eisenverhüttung nie die treibende Wirtschaftskraft im östlichen Westfalen.
Ein viel wichtigerer Wirtschaftszweig war für die Region die Glasherstellung. Das Glasmachergewerbe war wohl seit dem Hochmittelalter in den waldreichen Mittelgebirgen fester Bestandteil einer frühen Industrielandschaft. Insbesondere im Eggegebirge siedelte sich das Glasgewerbe an. Für die Standortwahl waren sicherlich die kurzen Transportwege nach Paderborn und der großflächige Buchenwald ausschlaggebend. Für die Glasherstellung wurden etwa 14–20 ha Waldfläche pro Saison und Hütte benötigt. Hinzu kommt eine zusätzliche Fläche für die Pottascheproduktion – ein Nebenprodukt der Holzkohlenherstellung. War der Wald im Umkreis der Glashütte abgeholzt, wurde die Hütte an einem neuen Standort errichtet. So verschlangen nicht nur die Holzkohlenmeiler, sondern auch die Glashütten zahlreiche Hektar Wald, sodass zahlreiche Hänge bald kahl waren. Nach und nach traten an die Stelle des Waldes im Eggegebirge somit die Holzkohlenmeiler und die rauchenden Schlote der Glashütten, die die Hänge der Landschaft formten. Ein anschauliches Beispiel einer frühen Glashütte des 12. Jahrhunderts befindet sich rund 3 km ostsüdöstlich von Altenbeken am Unterhang des Dübelsnackens. Die Relikte der Glashütte sind öffentlich zugänglich und geben Einblicke in die Glasherstellung vor rund 800 Jahren.

Hügel und Kohle – Überreste einer Kulturlandschaft

Gut ausgerüstet können die Meilerplätze dokumentiert werden (Foto: R. Medicke).

Heute deuten allenfalls die Flur- und Ortsnamen sowie – für das ungeübte Auge – unscheinbare Erhebungen im Wald auf den ehemals florierenden Wirtschaftszweig und das harte, einsame Gewerbe der Köhler hin – die Kohlenmeilerplätze. Holzkohlenmeiler wurden vorrangig in windgeschützter Lage, um ein unkontrolliertes Abbrennen des Meilers zu vermeiden, und im Wald errichtet.

Vom Entdeckergeist getrieben, ist Roland Medicke seit 2017 regelmäßig in den Wäldern des Eggegebirges unterwegs, um diese Plätze aufzuspüren. Sein innerer Antrieb ist das schon immer bestehende Interesse an der Lebenswelt von Menschen vergangener Epochen. Bereits jetzt hat er mehr als 1600 Meilerplätze im Eggegebirge aufgesucht, beschrieben und kartiert. Hierbei geht er sehr systematisch vor, um nicht den Überblick zu verlieren. Mit Hilfe von Planquadraten und -dreiecken läuft er die Waldflächen ab – immer einen Bohrstock und eine Kanne Tee dabei.

Im Bohrstock zeigt sich das Profil des Meilerplatzes. Deutlich ist die mächtige mit Holzkohle vermengte Schicht zu erkennen, die auf einen Meilerplatz hinweist (Foto: R. Medicke).

Mit dem Fuß schiebt er das Laub zur Seite und entdeckt die durch Kohlen schwarze Erde des Meilerplatzes. Der Bohrstock hilft ihm, wenn der Befund nicht eindeutig ist, und er gibt Aufschluss über den Aufbau des Meilers. Seine Dokumentation liegt nun in der Außenstelle Bielefeld vor und wird im Rahmen eines kleinen Projektes sukzessive in die Datenbank übernommen. Bereits jetzt konkretisieren die Fundstellen dabei das Bild der frühen Industrielandschaft, und der Außenstelle in Bielefeld wird ein völlig neuer Blick eröffnet.

Kartierung der Meilerplätze (Grafik: LWL/F. Bernhörster).
Auf einem Stübbewall erläutert R. Medicke den Aufbau und die Funktionsweise eines Holzkohlenmeilers (Foto: LWL/F. Bernhörster).

Während eines Außentermins berichtete Roland Medicke von seinen Beobachtungen im Gelände. Er erläuterte, dass es sich bei zahlreichen Meilerplätzen im Eggegebirge um sogenannte Hangmeiler handelt. An einem besonders anschaulichen Exemplar erklärte er den Aufbau solcher Hangmeiler. Sie sind von rundlicher Gestalt und besitzen eine waagerechte Plattform (Meilerplatte), die durch Angraben des Hangs (Hangabstichkante) und Aufschüttung des abgetragenen Bodens (Stübbewall) künstlich durch den Köhler angelegt wurde. Der Durchmesser solcher Hangmeilerplätze beträgt etwa 6–12 m.

Sein breitgefächertes Wissen über Meilerplätze und andere waldwirtschaftliche Relikte eignete sich Roland Medicke mit Hilfe von Fachliteratur an. Zudem recherchiert er im Internet viel zu seinen Entdeckungen.

Blick über einen Hangmeiler mit Stübbewall und Meilerplatte (links). Im Profil und Digitalen Geländemodell (rechts) sind deutlich die noch sichtbaren Geländestrukturen erkennbar (Foto: LWL/F. Bernhörster; DGM/Höhenprofil: GEOportal.NRW, grafische Bearbeitung: LWL/A. Philippi).

Während seiner ausgiebigen Wanderungen stößt er im Wald auch auf andere Überreste der Vergangenheit, die ebenfalls in enger Verbindung mit den Holzkohlenmeilern stehen. Größere Hügel, gebrannter Lehm und Kalk weisen auf einen Kalkbrennofen hin und Glasschmelzreste belegen die Glasverarbeitung vor Ort. Auch sie entstanden in der Nähe ihrer wichtigsten Ressource: dem Holz. Diese Relikte kartiert Roland Medicke ebenfalls und möchte sein Wissen weitergeben – denn die Vergangenheit, so sagt er, ist für das Verständnis der Gegenwart von erheblicher Bedeutung.

 

Text: A. Philippi, F. Bernhörster, L. Fritzen