Immer mal wieder „Kalk“

28.04.2025 Michael Baales

Immer mal wieder „Kalk“

Über die Herstellung von Branntkalk

Viele archäologische Relikte stammen aus gewässernahen, heute noch existierenden Stadtkernen oder längst aufgegebenen Siedlungen (Wüstungen). Darüber hinaus sind es Spuren der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung (z. B. Bergbaustollen, Meilerplätze etc.), die, teils gut sichtbar, bis in die Gegenwart überdauert haben. Zu ihnen zählen auch größere Kalkbrennöfen, deren Strukturen teilweise auch obertägig noch sichtbar sein können. Kleinere Kalkbrenngruben dagegen sind Zufallsfunde, die bei Erdarbeiten zutage treten.

Jüngst meldete sich dankenswerterweise der Ortsheimatpfleger Bernhard Padberg bei der Außenstelle Olpe der LWL-Archäologie für Westfalen, er habe in seinem Ortsteil Arnsberg-Holzen eine Kalkbrenngrube entdeckt. Die Besichtigung und Dokumentation der Fundstelle bestätigte seine Aussage: Im Zuge eines neu zu bauenden Radweges war eine Böschung zurückgesetzt worden und im Schrägprofil zeichnete sich eine mindestens 3,3 m große und 0,73 m mächtige Grube ab. Verschiedene durch Hitzeeinwirkung verfärbte Horizonte sowie insbesondere die Kalkstein- und Branntkalkreste untermauerten die Interpretation des Befundes.

Gebrannter Kalk ist einer der ältesten künstlichen Baustoffe und spätestens seit dem Altertum bei den ersten Hochkulturen bekannt. Bis heute wird er größtenteils für die Herstellung von Mörtel und als Dünger benötigt. Die Geschichte kennt zahlreiche weitere Anwendungen, sei es für die Herstellung von Putzen und Farben, als Mittel der Schädlingsbekämpfung (Erdflöhe, Schnecken), als Zuschlagsstoff in Glashütten (um die weiße Farbe des Glases zu erhöhen) oder als Zuschlagsstoff in Gerbereien (um die Faserstruktur von Häuten zu lockern).

Die benötigten Kalksteine wurden entweder an der Oberfläche gesammelt oder in Steinbrüchen und Stollen gewonnen. Es empfahl sich, die Steine mehrere Jahre an der Luft trocknen zu lassen, um ihre Festigkeit zu erhöhen. Werden Kalksteine (Calciumkarbonat) auf Temperaturen von 900-1200 °C erhitzt, wird Kohlenstoffdioxid ausgetrieben. Zurück bleibt der benötigte gebrannte/ungelöschte Kalk bzw. Branntkalk (Calciumoxid). Für küstennahe Städte wie Bremen und Emden ist sogar die Herstellung von gebranntem Kalk aus Muschelschalen belegt.

Der Brand wurde in verschiedenen, sich im Grundprinzip aber ähnelnden Öfen, Gruben und Meilern durchgeführt. Diese hatten einen enormen Energiebedarf und wurden – je nach Region, Zeitraum und Verfahren – mit Holz, Holzkohle, Torf, Braun- oder der erdgeschichtlich älteren und festeren Steinkohle befeuert. Ziel war eine konstant hohe Hitze, die alle Steine erreichte. Nach ein paar Stunden glühten die Steine nicht nur, sondern fingen an zu brennen.

Was zunächst simpel anmutet, bedurfte Geschick und Erfahrung des Kalkbrenners: Die Verwendung möglichst reiner und ähnlich großer Kalksteine war genauso wichtig wie ihre Schichtung sowie auch die richtige Schichtung des Brennmaterials. Zudem war die Dauer des Brandes keineswegs beliebig. Die Steine durften nicht verbrennen, sondern es galt, den richtigen Zeitpunkt abzupassen: Die Steine sollten bis zu 50 % Gewicht verloren haben, eine rein weiße Farbe besitzen und sich beim Einwerfen in Wasser in kleinste Teile auflösen lassen (gelöschter Kalk). Da dies – in der Regel – während des Brennvorganges nicht kontrolliert werden konnte, half nur die Erfahrung und die Wahrnehmung der Flammenfarbe und des Geruchs. Das Kalkbrennen konnte mehrere Tage dauern, sodass, insbesondere während der Frühen Neuzeit, mit unterschiedlichen Öfen, Feuerungen und Belüftungen experimentiert wurde, um Zeit und Energie zu sparen. Manchmal wurden Kalksteine auch zusammen mit Mauer- oder Dachziegeln gebrannt.

  • Eine ähnliche Situation wie in Arnsberg-Holzen ergab sich bereits 1995 in Wenden-Hünsborn, Kr. Olpe (Foto: LWL-AfW Olpe/Hermann Menne).

    Eine ähnliche Situation wie in Arnsberg-Holzen ergab sich 1995 in Wenden-Hünsborn, Kr. Olpe (Foto: LWL-AfW Olpe/Hermann Menne).

  • Eine vollständige Kalkbrandgrube wurde ebenfalls 1995 durch die Außenstelle Olpe in Balve-Mellen (Märkischer Kreis) ausgegraben (Foto: LWL-AfW Olpe/Hans-Joachim Beck).

    Eine vollständige Kalkbrandgrube wurde ebenfalls 1995 durch die Außenstelle Olpe in Balve-Mellen (Märkischer Kreis) ausgegraben (Foto: LWL-AfW Olpe/Hans-Joachim Beck).

  • Eine weitere Kalkbrandgrube trat 2009 in Balve-Garbeck beim Bau der Ortsumgehung zu Tage (Foto: LWL-AfW Olpe/Hans-Joachim Beck).

  • …. und eine weitere 2009 bei der Verbreiterung einer Straße in Attendorn-Helden, Kr. Olpe (Foto: LWL-AfW Olpe/Eva Cichy).

Der Prozess war umweltbelastend und für die Kalkbrenner nicht ungefährlich. Branntkalk ist stark ätzend, reizt die Haut und Atemwege; in den historischen Quellen sind zahlreiche Todesfälle durch den falschen Umgang mit Branntkalk überliefert. Weitere Gefahren lagen im Löschen des gebrannten Kalkes, weil sich dabei eine enorme Hitze entwickelt.

Der in Arnsberg-Holzen ausschnitthaft dokumentierte Befund stellt eine Variante der einfachen Form des Kalkbrennens dar: Über eine Feuerstelle in einer Grube wurden Steine und Brennmaterial kuppelartig so geschichtet, dass genügend Zuglöcher für die Belüftung vorhanden waren bzw. durch das verbrennende Material entstanden und die Hitze die Steine gleichmäßig umgab. Die Steine wurden oben mit Lehm abgedeckt, um die Hitze im Innern zu halten. Unten musste die Feuerstelle über eine Öffnung verfügen, über die das Brennmaterial kontinuierlich nachgeschickt werden konnte. Ein fließender Übergang zwischen einfachen Gruben und aufwendigeren, ofenähnlich geschichteten Anlagen ist anzunehmen und im archäologische Befund kleinerer Dimension oft nicht strikt zu trennen.

Wesentlich größer: 2018 wurde durch die Außenstelle Olpe, auf Grund einer Steinbruch-Erweiterung, ein neuzeitlicher Kalkbrennofen in Brilon-Alme (Hochsauerlandkreis) vollständig ausgegraben (Foto: LWL-AfW Olpe/Manuel Zeiler).

Gleichwohl der Befund wichtige Facetten vergangener Lebenswelten widerspiegelt, so wenig hilfreich ist dies für eine mögliche Datierung: Seine Typologie ist zu unspezifisch und noch im 18./19. Jahrhundert brannten Bauern auf gleiche Weise Kalk auf ihren Höfen, sei es für den Eigenbedarf oder im Nebenerwerb. Ohne Funde oder Kontextinformationen können derartige Strukturen, wenn überhaupt, nur über die Radiokarbondatierung von geborgenen Holzkohlen datiert werden.

Thomas Poggel M.A.

Kategorie: Außenstelle Olpe

Schlagwort: Olpe