Stummer Zeuge

21.05.2019 Carolin Steimer

Bochum-Gehrte: Impression von der Vermessung eines Deckungsgrabens aus dem Zweiten Weltkrieg (LWL-Archäologie für Westfalen/T. Poggel).

Ein Luftschutzbau des Zweiten Weltkrieges in Bochum

Die Mitarbeiter der Außenstelle Olpe der LWL-Archäologie für Westfalen sind es gewohnt, untertage zu arbeiten. Insbesondere die Mittelgebirgslandschaften des Sauer- und Siegerlandes halten zahlreiche montanarchäologische Schauplätze bereit, die den Einsatz des Fachamtes für Bodendenkmalpflege auf den Plan rufen. Hier sind es vor allem Themen der Wirtschafts-, Technik- und Sozialgeschichte, die mit archäologischen Methoden für die Nachwelt dokumentiert, erforscht und vermittelt werden. Nicht weniger spannend ist die Auseinandersetzung mit untertägigen Relikten des Zweiten Weltkrieges. Sie besitzen in Unterschutzstellungsverfahren die gleiche Berechtigung wie Hinterlassenschaften aus anderen Epochen und werden gleichsam archäologisch untersucht.

Im Rahmen eines städtischen Bauvorhabens in Bochum-Gehrte wurde von der Unteren Denkmalbehörde nach Befragung der LWL-Archäologie die denkmalrechtliche Erlaubnis erteilt, einen Luftschutzbau des Zweiten Weltkrieges zu entfernen, um einen tragfähigen Baugrund herstellen zu können. Voraussetzung für diese Erlaubnis war die vorherige Dokumentation des Bodendenkmals.

Reste der hölzernen Einrichtung (LWL-Archäologie für Westfalen/T. Poggel).

Während von uns schon mehrfach verschiedene Bunker und Luftschutzstollen untersucht worden sind, war es nun erstmals ein sogenannter untertägiger „Deckungsgraben“, den es in Form einer Sekundärquelle zu sichern galt. Im Vergleich zu klassischen Bunkern – oft massive Anlagen, bei denen Gasdichtigkeit und Volltrefferschutz angestrebt wurden – waren Deckungsgräben eine schnell gebaute und ressourcenschonende Möglichkeit, vor allem die Zivilbevölkerung vor den zahlreichen alliierten Luftangriffen zu schützen. Gräben wurden ausgehoben, Fertigteile aus Stahlbeton hineingesetzt und anschließend mit Erdreich überdeckt. Zugangsbauwerke mit Treppen führten von der Erdoberfläche ins Innere.

Holzmatten gegen aufsteigende Bodenkälte (LWL-Archäologie für Westfalen/T. Poggel).

Der Bochumer Deckungsgraben muss nach Kriegsende zügig verschlossen worden sein, denn die Mitarbeiter der Außenstelle Olpe fanden eine gut erhaltene Anlage mit Teilen der Einrichtung vor.

Zwar existieren allgemeinhin zahlreiche historische Quellen, wie Bauvorschriften und Erlasse, doch ihnen fehlt allesamt die materielle Dimension, die die Vergangenheit greifbarer und erfahrbarer macht. Ihnen ist kein Wort zu entlocken, wie es war, wenn mit ohrenbetäubendem Lärm die Luftschutzsirenen heulten, sich Bombergeschwader mit todbringender Fracht näherten und über 120 Personen – Junge wie Alte und Kranke – zum Deckungsgraben eilten. Wie sie die Treppen runter stürzten und eng gepfercht Knie an Knie gegenübersaßen, während in näherer Umgebung Bomben detonierten und die Erde zitterte. Menschen schrien, stöhnten und weinten. Zurückgelassene Glaskonserven und eine Blechkanne zeugten von stundenlangen Aufenthalten zwischen kaltem Stahlbeton. Ein kleiner Kohleofen sollte Wärme spenden, doch entzog er zugleich noch mehr kostbaren Sauerstoff, der nur über ein paar Belüftungsrohre seinen Weg von außen nach innen fand. Ein Aborträumchen mit einer Trockentoilette tat sein Übriges. Wasser drang ins Innere des schlecht abgedichteten Deckungsgrabens und wurde über eine kleine Rinne und eine Handpumpe nach außen abgeleitet. Abgebrannte Kerzen der Notbeleuchtung lassen erahnen, wie die elektrische Beleuchtung zusammengebrochen war.

Heutzutage ist es schwer vorstellbar, wie eine so hohe physische wie psychische Belastung zur teils alltäglichen Routine werden konnte. Umso wichtiger ist es, dass auch derartige „unbequeme“ Bodendenkmäler im Fokus stehen.

Thomas Poggel M.A.