Gekrönte Häupter: Eine Totenkrone aus Dülmen

29.08.2022 Sandra Goertz

Teilweise freigelegter Schädel der Bestattung mit Resten der Totenkrone in Fundlage. Schmuckscheiben und zu Blüten geformte Drähte bildeten einst einen prächtigen Kopfschmuck des mindestens jugendlichen Individuums. G. Jentgens, Jentgens Archäologie & Partner.

Gekrönte Häupter

Eine Totenkrone aus Dülmen

Seit 7 Jahren wird im Herzen der Stadt Dülmen großflächig gebaut. Genauso lange begleiten Archäolog:innen die Bauarbeiten und können immer wieder faszinierende Ergebnisse vorweisen.  Ein brandaktueller Fund auf dem ehemaligen Kirchhof direkt unter den Fenstern des Rathauses beweist einmal mehr den archäologischen Reichtum Dülmens. Im Zuge der bauvorbereitenden Untersuchungen für eine Tiefgaragenzufahrt wurden dort Gräber aus mehreren Jahrhunderten freigelegt. Eine Bestattung zeichnete sich durch eine überraschend gut erhaltene und reich verzierte Totenkrone aus. Solche Totenkronen wurden unverheiratet Verstorbenen vor allem im 17. und 18. Jahrhundert ins Grab gegeben.

Ins Auge fallen sofort zwei nebeneinander auf der Stirn liegende runde Glasscheiben. Sie waren ursprünglich wahrscheinlich verspiegelt und mit einem feinen Kupferdrahtgewebe eingefasst, das noch zum Teil erhalten ist. An der rechten Schläfe finden sich noch kreisförmig angeordnete kleine Kupferscheiben. Rechts und links an den Seiten des Schädels liegen zwei Zierelemente, deren florale Vorbilder gut zu erkennen sind: zu Blütenblättern oval geformte Ornamentdrähte, die sich um feindrahtgefasste Farbgläser gruppieren, rechts grün und links gelb leuchtend. Grünlich oxidierte und umwickelte Kupferdrähte (Lyoner Draht) formen nicht nur einzelne Zierelemente, sondern verbanden sie ehemals auch zur Krone oder Haube. Trotz ihrer repräsentativen Erscheinung ist der Materialwert der Kronen in der Regel nur gering.

Drohnenfoto der Ausgrabungsfläche an der Rückseite des Dülmener Rathauses. Die jüngsten Bestattungen auf dem ehemaligen Friedhof um St. Viktor lagen ca. 0,5 m unter der heutigen Geländeoberkante. G. Jentgens, Jentgens Archäologie & Partner.

Bedeutung der Schmuckstücke nach wie vor nicht klar

Bei der Frage nach dem Ursprung dieses Brauchs stößt man schnell auf die Verwandtschaft von Totenkrone und Brautkrone. Die Totenkrone bildet bei Ledigen - Kindern, Jugendlichen oder zumeist jungen Erwachsenen - eine Art „posthumen Ersatz“ für die im Leben nicht getragene Brautkrone. Ob hier die Hochzeit mit einem fiktiven Partner oder eine himmlische Verbindung mit Christus als Lohn der Keuschheit gemeint ist, bleibt offen. Generell gilt die Krone aber auch als Zeichen für Jungfräulichkeit. 

Totenkronen schmückten bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts auch das Innere von Kirchen. Der filigrane Schmuck wurde jedoch nach und nach aus den Kirchen verbannt. Die filigranen Objekte sind schon länger Gegenstand der volkskundlichen Forschung. Aus Westfalen sind Totenkronen in Gräbern bisher kaum bekannt. In den untersuchten Dülmener Gräbern stellt diese Totentracht allerdings keinen Einzelfall dar. Darüber hinaus wurden Sträußchen als Grabbeigabe beobachtet, die in derselben Technik gefertigt wurden.

Anthropologische Untersuchungen (Dr. Bettina Jungklaus) deuten bisher darauf hin, dass einige der auf dem Dülmener Kirchhof bestatteten Kinder an Hirnhautentzündung (Meningitis) litten.

Text: Gerard Jentgens