Übung macht den Meister

26.10.2022 Michael Baales

Eine kleine Knochenschnitzerei – ein verzierter Schmuckanhänger aus dem Frühmittelalter? - Foto: LWL-AfW Olpe/T. Poggel

Übung macht den Meister

– eine Knochenschnitzerei aus Werl-Büderich

Obwohl Tierknochen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit im großen Umfang und professionell als Rohstoff genutzt worden sind, tauchen aus ihnen hergestellte Erzeugnisse im archäologischen Fundgut eher spärlich auf. Ausnahmen bilden zwar städtische Knochenschnitzer-Werkstätten, die sich im Spätmittelalter z. B. zu Kammmachern, Würflern oder Paternosterern (Lat. „Vaterunser“; Herstellung von Rosenkränzen) spezialisierten, doch andere Gebrauchsgegenstände aus Knochen – z. B. Knöpfe, Griffe, Beschläge – sind weniger häufig zu finden. Ursachen können u. a. eine geringere Eigenproduktion in den Siedlungen abseits urbaner Zentren oder der Umgang mit dem Fundmaterial selbst sein: Nicht selten werden Tierknochen, je nach Befundkontext, allzu schnell als Schlachtabfälle entsorgt, sodass Bearbeitungsspuren – die über das eigentliche Zerteilen eines Tieres mit Beil und Säge hinausgehen – vielleicht unentdeckt bleiben.

Ein kleines, knöchernes Unikat wurde nun bei einer Baubegleitung durch die Außenstelle Olpe in Werl-Büderich (Kr. Soest) entdeckt. Aufgrund bereits bekannter, benachbarter Fundstellen wurde der Oberbodenabtrag für ein Einfamilienhaus archäologisch begleitet, um mögliche Befunde vor ihrer Zerstörung zu dokumentieren. Neben Fundamentresten einer Vorgängerbebauung aus dem 19. Jahrhundert wurde auf der Zuwegung zu der kleinen Fläche eine 2,3 x 1,4 m große Grube entdeckt, die sich noch bis zu 0,38 m tief erhalten hatte. Da das umgebende Sediment an dieser Stelle einen sehr hohen Kalkanteil besaß, der sich im Profil in teils 0,2 m mächtigen Bändern abzeichnete, war eine Interpretation als Material-Entnahmegrube (Dünger, Putz etc.) denkbar. Die spätere Verfüllung der Grube beinhaltete zahlreiche Holzkohlen- und Rotlehm-Stückchen, wenige Keramikscherben sowie ein paar Schlachtabfälle und Metallfunde (geschmiedeter Nagel, Haken). Bei der genaueren Begutachtung der Tierknochen fiel die Schnitzerei auf.

  • Der Olper Grabungstechniker Lutz Cramer beim Ausnehmen der Grube in der Zuwegung zum neuen Baugrundstück. - Foto: LWL-AfW Olpe/T. Poggel

  • Die zuvor dokumentierte Grube im Planum… - Foto: LWL-AfW Olpe/T. Poggel

  • … und im Profil. - Foto: LWL-AfW Olpe/T. Poggel

Das Knochenstück ist zu einer ca. 3 x 1 x 0,5 cm großen, schmalen, dreieckigen Form mit einem leicht trapezförmigen Querschnitt bearbeitet worden. Das Stück ist in einer ca. 0,5 cm messenden Lochung zerbrochen. Die Schauseite (spongiöse Innenseite des verarbeiteten Knochens) ist mit waagerechten, leicht geschwungenen Einkerbungen verziert. Die übrigen Seiten sind geglättet. Ein kleines Detail: Auf der Unterseite, der Außenfläche des Knochens, befinden sich zwei ca. 0,5 cm lange, schräge, aber eng und parallel beieinanderliegende Schnittspuren der Zerlegung bzw. der Säuberung des Knochens. Von welchem Tier der leicht patinierte Knochen stammt, bleibt unklar. Professionelle Knochenschnitzer bearbeiteten häufig die Mittelfußknochen von Rindern, da sie relativ groß und gerade waren sowie eine dicke Kompakta (feste Außenwand des Knochens, im Gegensatz zum schwammartigen Inneren des Knochens, der Spongiosa) besaßen. Sie eigneten sich also besonders gut für Schnitzereien.

Der Fund ist am ehesten als schmückender Anhänger zu interpretieren, der nicht aus einer Knochenschnitzer-Werkstatt stammt, sondern – vielleicht als „Spontanartefakt“ – von einer handwerklich begabten Person angefertigt worden ist. Zweifelsohne war sie im Umgang mit Messer, Feile und Bohrer geübt, doch mag die große Bohrung im Verhältnis zum Objekt, die letztlich zum Bruch führte, auf mangelnde Material- und Proportionskenntnisse und auf geringe Erfahrung bei der Bearbeitung von Knochen hindeuten. Doch vielleicht diskreditieren wir die Person mit dieser Deutung auch und der Anhänger wurde lange genutzt? Selbst bei anderen Interpretationen bleibt die mögliche Datierung interessant: Die wenigen Keramikscherben aus der Befundverfüllung deuten in das Frühmittelalter (Dr. Eva Cichy), eine Epoche, aus der das archäologische Fundmaterial ohnehin schon rar ist.

Thomas Poggel M.A.

 

Literatur:

Marianne Erath, Studien zum mittelalterlichen Knochenschnitzerhandwerk: die Entwicklung eines spezialisierten Handwerks in Konstanz (Freiburg 1996).

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