Um den Stollen vor dem Einsturz zu bewahren, sind neben den Eingangsbereichen gefährdete Streckenabschnitte ausgemauert worden. Teilweise sind nur einzelne Stützbögen eingezogen. Die ansehnliche Ausmauerung erinnert an zeitgenössische Abwasserkanäle andernorts. Doch nicht immer wurde das beste Material verbaut, Ziegel mit Trocknungsrissen und Fehlbrände zeigen, dass wohl ganze Fehlchargen als günstige „B-Ware“ verbauten worden sind. Zur Herkunft der Ziegel kann noch kein abschließendes Urteil gefällt werden, hier stehen weitere Untersuchungen und Recherchen an.
Anfangs rätselhaft erschienen rechteckige Öffnungen im Ziegelmauerwerk, welche im unteren Drittel der Stöße eingelassen sind. Die Öffnungen folgen einer gewissen Regelhaftigkeit, ihr Nutzen zeigt sich vor allem in Bereichen in denen Wasser eintritt, tropft es andernorts vom Fels direkt auf die Sohle, läuft das Wasser hinter der qualitativ gut ausgeführten Vermauerung her und strömt durch diese Öffnungen in das System ein.
Das komplexe Tunnelsystem sicherte zwar Lüdenscheid eine Versorgung mit qualitativ höherwertigem Trinkwasser, doch nicht für lange, denn schon wenige Jahre nach Inbetriebnahme begann die Wassermenge drastisch zu sinken. Vermutlich trocknete ein oberirdisch gelegenes Hochmoor, das den Zufluss wesentlich speiste, zu schnell aus. Als Reaktion auf die nachlassende Fördermenge wurde 1888 das Pumpwerk in Treckinghausen nebst Quellfassung errichtet. Statt durch ein natürliches Gefälle wurde das Wasser fortan mittels Dampfmaschine und Pumpen in die Stadt gefördert.
Das Tunnelsystem unterquert heute mehrmals den Verlauf der BAB 45, bei deren Bau wurde noch einmal Wasser für die Betonherstellung gefördert. Lange Zeit lag die Anlage im Verborgenen, was einer weiteren Nutzung jedoch nur zugutekam: Im Kalten Krieg galt die Trinkwasserversorgung Westdeutschlands im Ernstfall als gefährdet, von einer Unbrauchbarmachung oder Zerstörung der Talsperren war die Rede. Der Wasserstollen wäre im Notfall für die Wasserversorgung Lüdenscheids herangezogen worden. Schätzungsweise hätten allerdings nur wenige Liter pro Person und Tag zur Verfügung gestanden.
Weitere Untersuchungen sollen Fragen zur Bauweise, den Materialien und den am Bau beteiligten Menschen klären. Noch heute sprudelt Wasser aus den Rohrleitungen, eines besonderen Relikts der Industrialisierung Südwestfalens, welches wohl durch den Ausbau der BAB 45 in Teilen bedroht sein könnte. Davon unbeeindruckt dürften die Fledermäuse sein, welche seit einigen Jahrzehnten den Wasserstollen als Refugium nutzen. Die Außenstelle Olpe dankt den Mitarbeitern der Enervie, Südwestfalens Energie und Wasser AG, für Ihre freundliche Unterstützung bei der Dokumentation eines besonderen Denkmals der Industriegeschichte!
Daniel Brandes