Wieder ein „Franzose“ unter südwestfälischen Steinzeitfunden

25.04.2022 Michael Baales

Kreuztal-Ferndorf. Klingenfragment aus „Silex Bartonien“ (Foto & Zeichnung: LWL-AfW Olpe/M. Baales & A. Müller)

Wieder ein „Franzose“ unter südwestfälischen Steinzeitfunden

Erstmals (?) für Westfalen "Silex Bartonien" nachgewiesen

In unserem letzten Blogbeitrag konnten wir ein besonderes endneolithisches Steingerät vorstellen. Es handelt sich um das Fragment eines sog. Spandolches aus zentralfranzösischem Grand-Pressigny-Feuerstein, das bereits vor Jahrzehnten bei Unna in der Hellwegbörde gefunden worden war. Spandolche sind besonders große, kantenbearbeitete Klingen, die an der Rohstofflagerstätte von großen Kernen in Serie gewonnenen worden. Sie dienten im 3. Jahrtausend vor Chr., in einem Griff geschäftet, als repräsentative Messerklingen. Aus einem gelb-bräunlichen Feuerstein gefertigt ähnelten sie farblich den frühen Kupferwerkzeugen, die zu dieser Zeit noch selten und nicht für jeden verfügbar waren. Das Stück von Unna liegt am nordöstlichsten Rand der Verbreitung der Spandolche aus Grand-Pressigny-Feuerstein und hatte etwa 800 Kilometer zurückgelegt, bevor es im Hellweg in den Boden gelangte.

Ein kürzlich in Olpe näher analysierter Altfund erweitert nun unsere Kenntnis rund um das Thema „exotische“ Feuersteinrohstoffe in der Jungsteinzeit Westfalens.

Das Stück stammt aus dem Südzipfel Westfalens, dem Siegerland. Hier bei Ferndorf (Kreuztal, Kr. Siegen-Wittgenstein), war schon 1970 in einem Garten ein größeres, kantenretuschiertes Klingengerät aus einem gebänderten, bräunlichen Silex gefunden worden. Das Stück ist damals auch dem westfälischen „Chefarchäologen“ Hans Beck (1909-1987) bekannt geworden und hatte aufgrund des auffälligen Rohmaterials seine Aufmerksamkeit geweckt. Ein überlieferter Briefverkehr mit dem Fundmelder in den Altakten der Außenstelle Olpe zeigt aber, dass das auffällige Rohmaterial damals noch nicht zu bestimmen war.

Kreuztal-Ferndorf. Ein besonderer Fund der jüngeren Jungsteinzeit (Foto: LWL-AfW Olpe/M. Baales)

Das Klingengerät ist gebrochen und 6,4 cm lang und 2,9 cm breit; nur das basale (proximale) Fragment des Gerätes ist erhalten und somit die Gestaltung des oberen (distalen) Geräteendes ist nicht mehr zu bestimmen und damit auch nicht die ehemalige Geräteform. Ursprünglich dürfte das Klingengerät deutlich über 10 cm lang gewesen sein. Beide Längskanten sind durchgehend relativ steil zugerichtet (retuschiert). Das Stück dürfte an der Klingenbasis zur besseren Handhabung einst in einen organischen Griff eingesetzt gewesen sein.

Das Stück wird heute im Heimatmuseum in der „Roten Schule“, der ehemaligen Volksschule, in Ferndorf aufbewahrt. Anlässlich des anstehenden Umbaus beschäftigt sich unser ehrenamtlicher Mitarbeiter Jens Görnig aus Kreuztal mit den ausgestellten Funden und versucht, offene Fragen zu klären – wie die nach dem Rohmaterial des Klingengerätes von 1970.

Und diese Frage ist heute schnell beantwortet. Es handelt sich um französischen „Silex Bartonien“ (früher in der deutschen Literatur „silex rubané“ genannt), ein während des Tertiärs im nördlichen Pariser Becken entstandenes glasartiges Gestein, das die oben beschriebene deutliche Bänderung von beige bis braun aufweist. Besonders charakteristisch sind kleine kugelige Fossileinschlüsse, sog. Oogonien.

Dieses Material steht im nördlichen Pariser Becken an und es wurde während des Neolithikums bergmännisch gewonnen, auch im Untertagebau, so z.B. nachgewiesen in Jablines und Flins-sur-Seine bei Paris. Es wurden daraus Beilklingen und Großklingen hergestellt, die weit verbreitet wurden. Die uns nächstgelegenen, archäologisch nicht untersuchte Rohmateriallagerstätten liegen um Romigny und Lléry bei Reims und sind ca. 400 km entfernt.

Grundsätzlich sind Artefakte aus „Silex Bartonien“ in Westdeutschland für zwei Zeitphasen belegt, zum einen für das Jungneolithikum (Michelsberger Kultur; 4200 - 3500 v.Chr.) in Form von Beilklingen und Spitzklingen, zum anderen für das Endneolithikum (Becherkulturen; 2800 - 2300 v.Chr.) in Form von Spandolchen. Aufgrund eines fehlenden Kontextes und der fragmentarischen Erhaltung des Klingengerätes ist die exakte zeitliche Einordung des Ferndorfer Stückes nicht möglich. Das südwestfälische Bergland ist zu beiden Phasen mehr oder weniger intensiv besiedelt gewesen. Auf Michelsberger Fundstellen sind große, kantenretuschierte Klingengeräte, darunter besonders Spitzklingen, aus anderen Silexvarianten in größerer Zahl bekannt, dabei dominiert als Rohmaterial südniederländischer Rijckholt-Feuerstein. Endneolithischen Spandolche aus westeuropäischen Silexvarietäten waren dagegen im Siegerland bisher nicht belegt (beidflächig überarbeitete Dolchfragmente des nordischen Typs aus dem gleichen Zeitraum dagegen schon). Spandolche sind an den Kanten meist eher flach und damit leicht auf die Fläche ausgreifend bearbeitet – also anders als bei unserem Fragment, das aber auch die letzte Nach- oder Umarbeitung eines solchen Stücks repräsentieren könnte; das Recyceln gebrochener, großer Klingen war ein gängiges Verfahren in Neolithikum.

Aufgrund der auffälligen Färbung von „Silex Bartonien“ könnte unser Stück im Jungneolithikum als exotisches Prestigeobjekt mittelbar durch Tausch nach Südwestfalen gelangt sein. Wäre dies ein endneolithischer Fund, würde dieser belegen, dass das Siegerland randlich eingebunden war in das Verteilungsnetzwerk von seriell in Frankreich hergestellten Silexdolchklingen, die Kupferdolche imitierten und dem Besitzer als Statussymbol dienten.

Verbreitung der endneolithischen „Spandolche“ aus „Bartonien-Flint“ bzw. "Silex Bartonien" in NW-Europa (nach: Marianne Delcourt-Vlaeminck 2004, Fig. 5). Stern = Klingenfragment Kreuztal-Ferndorf (Kr. Siegen-Wittgenstein)

Bleibt zum Abschluss noch die Feststellung, dass das Stück aus Ferndorf aktuell vermutlich der einzig bekannte Nachweis von „Silex Bartonien“ in ganz Westfalen ist. Eine Verbreitungskarte der „Spandolche“ aus diesem Material von 2004 weist in NW-Europa mehrere Fundorte aus, auch einige im Rheinland, Belgien und den Niederlanden – und einen in der Münsterländer Bucht. Der Fundort Hasbergen gehört aber bereits nach Niedersachsen. Eine kurze Nachfrage bei den westfälischen „Steinzeitkollegen“ in Münster und Bielefeld nach „Silex Bartonien“ ergab nur Kopfschütteln, aber natürlich ist nicht auszuschließen, dass dieses Material in Sammlungen als „unbekannter Silex“ deklariert wurde, sowie es bei dem Ferndorfer Stück der Fall war.

Vielleicht stellt sich in Zukunft noch der ein oder andere Fund in Westfalen ein, ist dieses Material doch grundsätzlich recht auffällig. Als weitere Formen kommen neben Geräten aus Großklingen auch Beilklingen und Pfeilspitzen in Betracht.

Dank an Jens Görnig für die Nachfrage zu dem Ferndorfer Stück und dem Heimatverein Ferndorf für die Möglichkeit, dieses und andere Stücke erneut dokumentieren zu können.

Michael Baales & Ingrid Koch

 

Literatur

Marianne Delcourt-Vlaeminck (2004): Les exportations du silex du Grand-Pressigny et du matériau tertiaire dans le nord-ouest de I'Europe au Néolithique final / Chalcolithique. Anthropologica et Praehistorica 115,139-154.

Hartwig Löhr (2018): Ein endneolithischer Spandolch vom „Grand Pressigny“-Typ aus Romigny-Lhéry-Feuerstein von Trier-Zewen (Oberkirch). Funde und Ausgrabungen im Bezirk Trier, 50, 2018, 14-26.

Jürgen Weiner (2007): Zwei Neufunde aus Romigny-Lhéry-Feuerstein. Archäologie im Rheinland 2006, 71-72.

 

Spandolchfragment Unna :

https://www.lwl-archaeologie.de/de/blog/eine-neue-jungsteinzeitliche-dolchklinge-aus-unna-hemmerde/