Von Fehden, Pest und Landflucht

04.11.2016 Carolin Steimer

Für den Laien idyllische Landschaft, für den Archäologen sind hier deutliche Spuren von früherer Besiedlung zu erkennen. Foto: LWL/R. Bergmann

Wüstungsprospektion im Kreis Paderborn

Fehden, Pest, Landflucht, Krisen der Landwirtschaft: Im Mittelalter eigneten sich manche Katastrophen, die gravierenden Einfluss auf die Siedlungslandschaft hatten. In Paderborn veränderte sie sich gravierend. Das zeigt eine systematische Prospektion der aufgegebenen Orte, die das Fachreferat für die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit derzeit im Gebiet des Kreises Paderborn durchführt, weil hier nur etwa ein Viertel der Ortswüstungen ihrer exakten Lage nach bekannt ist.

 

Der Hellweg in Kerkdorp bei Lichtenau. Foto: LWL/R. Bergmann

Im 14. Jahrhundert, besonders zwischen 1370 und 1380, veränderte sich die Siedlungslandschaft im Kreisgebiet Paderborn rapide. Ursachen dieser Entvölkerung waren sich häufende Adelsfehden, deren Zerstörungskraft sich vor allem auf das ungeschützte Land erstreckte. Die durch die Fehden ausgelöste Landflucht führte zu einer Abwanderung in die Städte, Marktorte und größeren Kirchdörfer. Wüstungsverursachend waren bereits vorher  demografische Faktoren wie die Pest des Jahres 1349 mit mindestens 60% Mortalitätsrate. Eine vom den Bevölkerungsschwund ausgelöste nachfolgende Agrarkrise traf vor allem die Getreidebaulandschaften. Folge dieses Krisengeschehens war, dass im Hochstift Paderborn weit mehr als die Hälfte der bis dahin bestehenden Orte verschwanden und zur Wüstung wurden.

Bei der bisherigen Prospektion des Jahres 2016 erwies sich die Ortsstelle Kerkdorp bei Lichtenau als landeshistorisch bedeutsames Relikt: Unter dem Schutthügel im Zentrum der sich im Gelände deutlich abzeichnenden Kirchenburganlage lässt sich die Urpfarrkirche des Soratfeldes in ihren Abmessungen erahnen. Die erhebliche Höhe des Westhügels lässt annehmen, dass die Reste des Kirchturms unter dem Abbruchschutt erhalten geblieben sind. Die Anlage, deren Vermessung von der LWL-Archäologie geplant ist, liegt unmittelbar an einem der mittelalterlichen Hellwege, die von Paderborn aus strahlenförmig in das Umland verliefen.

  • Die Heilig-Seele-Kapelle bei Borchen-Dörenhagen überliefert den Standort des einstigen Kleinweilers Eilhardinchusen. Foto:  LWL/R. Bergmann

  • Büren-Böddeken. Das Mauerwerk des Rechteckchor der Wüstungskirche Kerkberg im Sintfeld zeigt im Osten (rechts der Bildmitte) eine Unterbrechung. Möglicherweise ist diese auf ein ehemals vorhandenes großes Chorfenster zurückzuführen. Foto: LWL/R. Bergmann

  • Lichtenau-Dalheim: Die Annen-Kapelle am Rand der Ortsstelle Amerungen dürfte auf einen mittelalterlichen Vorläuferbau zurückgehen. Foto: LWL/R. Bergmann, LWL-Archäologie für Westfalen

Ein anderes Objekt, die heute einsam in der Karstlandschaft der Paderborner Hochfläche gelegene Heilige-Seele-Kapelle bei Dörenhagen, erweist sich als Relikt des einstigen Kleinweilers Eilhardinchusen. Funden zufolge ist er seit dem 9./10. Jh. existent gewesen. Nach der spätmittelalterlichen Aufgabe des Ortes wurde die Kapelle (Foto 1 im Bilderslider) in der frühen Neuzeit von einem Einsiedler genutzt. Entdeckt wurde nun auch die Ortsstelle des Dorfes Altenböddeken nahe mehrerer Teiche auf der sonst trockenen Hochfläche. Funde zeigen, dass die Dorfwüstung erhebliche früher gegründet worden ist als das wenige km entfernte Stift Böddeken (heute Gut Böddeken). Nahebei in einer „Urwaldzelle“ gelegen ist die Kirchenruine in der Wüstung Kerkberg, das Foto zeigt deren Chorbereich (Foto 2 im Bilderslider). Ein „Überbleibsel“ des aufgegebenen Dorfes Amerungen ist die heutige Annenkapelle (Foto 3 im Bilderslider). Bei den meisten aufgelassenen Orten des Paderborner Landes handelt es sich jedoch um Kleinweiler ohne Kirche oder Kapelle, die im Mittelalter nicht mehr als fünf Höfe umfasst haben. Stellvertretend für diese sei Ryquordinchusen bei Brenken genannt, dessen Lokalisierung sich sehr einfach gestaltete: An den Ort erinnert ein Feldkreuz unweit einer Quelle am Hochflächenrand, die für die Wasserversorgung des Ortes am Rand einer sonst gewässerlosen, verkarsteten Hochfläche von entscheidender Bedeutung war.

Ein Brunnen in Böddeken. Foto: LWL/R. Klostermann

Auch von bisherigen Misserfolgen ist zu berichten: Der ehemals bedeutungsvolle Ort Haxthausen lag nicht am „Haxterpohl“ südlich von Paderborn, wo er von der Regionalforschung vermutet wurde. Der „Haxterpohl“ ist vielmehr eine zeitweilig überflutete hochmittelalterliche Bodenentnahmegrube am Hochflächenrand, aus der man das Material zur Aufschüttung der unmittelbar benachbarten Turmhügelburg auf dem „Haxter Berg“ entnommen hat. Eine exakte Vermessung der Hohlform vorausgesetzt, könnte man auf die ursprüngliche Ausdehnung/Größe der erosionsgeschädigten Burg am Steilhang rückschließen. Das Dorf Haxthausen jedenfalls muss woanders, wahrscheinlich im Talgrund, gesucht werden. 

Die Prospektionsarbeiten zur Wüstungsforschung des Paderborner Landes sollen im Winter 2016/17 fortgesetzt werden. Spezielle zweckdienliche Hinweise nimmt die LWL-Archäologie für Westfalen, Fachreferat Mittelalter- und Neuzeitarchäologie (Rudolf.Bergmann@lwl.org) gern entgegen.

Rudolf Bergmann