Altbergbau und Luftschutz in Siegen

05.11.2021 Michael Baales

Einblick in den Bergbau: Seitlich nach links und rechts abgehende Bohrlochpfeifen in der Firste (Decke) bezeugen, dass die Kammer von oben nach unten geweitet worden ist (LWL-AfW Olpe/T. Poggel)

Altbergbau und Luftschutz in Siegen

Untertagerelikt dokumentiert

Während des Zweiten Weltkrieges wurde Siegen in einem Mobilmachungsplan der Luftwaffe als ein „Luftschutzort I. Ordnung“ klassifiziert – als eine besonders gefährdete Stadt, die den Ausbau des Luftschutzes forcieren sollte. Siegen war nicht nur ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, sondern auch Garnisonsstadt und besaß kriegsbedeutende Großindustrie. Bis Kriegsende wurden durch die alliierten Bombenangriffe ca. 75% des Stadtgebietes zerstört, wobei aber „nur“ ein sehr geringer Anteil der Zivilbevölkerung ums Leben kam. Die einst bedeutende Montanregion, die ihre „Blütezeit“ um 1900 hatte, besaß hunderte von im Betrieb befindlichen und aufgegebenen Bergwerken. Als Rohstoff-Lieferanten konnten sie einerseits die gegnerische Aufmerksamkeit auf sich ziehen, andererseits trugen ihre Stollen sowie die Kenntnisse und Fähigkeiten der hiesigen Bergleute dazu bei, dass die Opferzahlen vergleichsweise niedrig blieben, weil viele alte Stollen auch dem Luftschutz dienten.

  • Teil der ursprünglichen Strecke des Altbergbaus (LWL-AfW Olpe/T. Poggel)

  • Versatzmauer mit taubem Gestein im Suchort (LWL-AfW Olpe/T. Poggel)

  • Suchort mit Bohrlochpfeife im Stoß (Wand) (LWL-AfW Olpe/T. Poggel)

Mitarbeiter der Außenstelle Olpe dokumentierten nun einen dieser Stollen, der gewaltsam aufgebrochen worden war – eine leider beliebte Straftat, mit der fremdes Eigentum sowie archäologisch-historische Quellen und damit die Geschichte von uns allen zerstört wird. Der betreffende Altbergbau ist auf keiner Gangkarte (diese verorten Grubenfelder, Bergwerksgebäude, Stollen etc.) verzeichnet und scheint ein erfolgloses Unterfangen, vermutlich im 19. Jahrhundert, gewesen zu sein. Durch Bohrungen, die mit Sprengstoff gefüllt wurden, löste man den anstehenden Schiefer und folgte einem bescheidenen Erzgang. An zwei Suchorten wurde die Geologie auf abbauwürdiges Gestein hin untersucht. Einer dieser Suchorte wurde im Anschluss in Form einer sogenannten Versatzmauer mit taubem Gestein – nicht verwertbarem Abraum – verfüllt. Mangels Rentabilität ist der Abbau eingestellt worden und das Grubengebäude (Bezeichnung für die Gesamtzahl der Stollen, Schächte etc. einer ‚Grube‘) blieb mit einer Streckenlänge von ca. 50 m sehr klein.

Jahrzehnte später, im Mai 1940, begannen die ersten alliierten Luftangriffe auf das Siegerland. Spätestens 1943 wurde der Stollen – wie eine Inschrift belegt – zu einem provisorischen Luftschutzbau erweitert. Der Stollen wurde teilweise nach oben hin vergrößert (Firstenbauweise) und dann beiderseits mit Sprengungen von oben nach unten hin geweitet. So entstanden zwei Kammern, die als Schutzräume für insgesamt schätzungsweise 100 - 150 Personen dienten. Wenige Meter hinter der Stollenöffnung, dem Mundloch, befand sich eine nur wenige Quadratmeter große Dachkonstruktion aus Metallprofilen und Wellblechen. Sie musste schon damals Schutz vor Tropfwasser und leichtem Verbruch geboten haben, denn bis heute ist hier die feuchteste Stelle des gesamten Grubengebäudes. Unter diesem Dach fanden sich Reste einer elektrischen Beleuchtung. Weitere Funde konnten nicht gemacht werden. Ob ein dort gefundener Metall-Topf und eine emaillierte Blechschüssel aus der Zeit des Bombenkrieges stammen, ist ungewiss.

  • Im Krieg aufgeweiteter Stollen, der nun als Schutzraum diente (LWL-AfW Olpe/T. Poggel)

  • Teile der elektrischen Beleuchtung unterhalb des Dachkonstrukts gegen Tropfwasser (LWL-AfW Olpe/T. Poggel)

  • Übergang vom ersten Schutzraum in die ehemalige Stollenstrecke (LWL-AfW Olpe/T. Poggel)

  • Linke Bildhälfte: Stollenquerschnitt des Altbergbaus, rechte Bildhälfte: geweiteter Querschnitt in Richtung des zweiten Schutzraumes (LWL-AfW Olpe/T. Poggel)

  • Blick in den zweiten, größeren Schutzraum (LWL-AfW Olpe/T. Poggel)

  • Die aufgepinselte Jahreszahl „1943“ im zweiten Schutzraum (LWL-AfW Olpe/T. Poggel)

  • Reste des aufgebrochenen Mundlochs und alkoholischer Getränke neben originaler Stromversorgung des Luftschutzstollens und eventuellen weiteren Weltkriegsfunden (LWL-AfW Olpe/T. Poggel)

Unbeachtet der zahlreichen Vorschriften des Reichsluftfahrtministeriums für den Bau von Luftschutzanlagen wurde nicht selten in der Not ein vorhandener Altbergbau erweitert. Statt einer Sicherheits-Schleuse existierte einst höchstens eine dürftige Holztür. Es gab keinen Notausgang, keine zweckmäßige Belüftung (lediglich ein größeres Luftvolumen durch die Größe der Schutzräume), keine Wasserversorgung etc. Doch bot die Anlage Schutz vor Detonationen, umherfliegenden Trümmern sowie Druckwellen und war damit besser als keiner Sicherung – und so ist der Stollen sicherlich viele Male bei Fliegeralarm von Mitarbeitern eines benachbarten Industriebetriebes aufgesucht worden.

Derartige Relikte der jüngsten Vergangenheit müssen umso mehr archäologisch dokumentiert werden, da sie zum einen immer häufiger durch Bauvorhaben oder Vandalismus bedroht sind, zum anderen ein mahnendes Beispiel sind, dass Friedenszeiten nicht selbstverständlich sind.

Thomas Poggel M.A.