Archäologie im Bielefelder Zentrum

25.09.2017 Carolin Steimer

Ausgrabungen am Alten Markt geben neue Einblicke in die Siedlungsgeschichte der Stadt

Seit vier Monaten erforscht eine Grabungsfirma unter Fachaufsicht der Außenstelle Bielefeld der LWL-Archäologie für Westfalen das große Gelände zwischen Alter Markt/Piggenstraße – Welle/Gehrenberg. Jetzt gehen die Ausgrabungen, die zahlreiche Erkenntnisse zur vorstädtischen und städtischen Besiedlungsgeschichte erbrachten, langsam auf die Zielgerade.

Dass das Gelände schon vor der Stadtgründung mit einfachen Höfen besiedelt war, konnten die Wissenschaftler an Pfostengruben und Stakenreihen erkennen. Diese hatten sich trotz der teilweise sehr eng verschachtelten Befundlage im Boden erhalten und datieren mindestens in das 11./12 Jahrhundert.

Zur Gründungszeit der Stadt Bielefeld im Jahr 1214 errichteten die Menschen hier dann erste Steinbauten. Von Ihnen und ihren jüngeren Nachfolgern zeugen zahlreiche Mauerzüge und Fundamente. Diese gehörten teilweise zu älteren Gebäuden, die noch bis in den Zweiten Weltkrieg hinein genutzt worden waren. Nur ein Teil der ergrabenen Bauten ist vom Bielefelder Urkataster aus dem frühen 19. Jahrhundert her schon bekannt, andere Befunde zeigen dagegen die ältere Besiedlungsgeschichte auf diesem Gelände.

Dicht an dicht: Immer wieder traten auf dem Gelände schon knapp unterhalb der modernen Oberfläche Fundamentreste älterer, eng aneinander grenzender Gebäude zutage. Jede Mauer wird von den Archäologen sorgsam freigelegt und dokumentiert.

Besonders auffällig war die große Zahl von bisher zehn Brunnen, die in regelmäßiger Anordnung aufgedeckt wurden, denn jedes Grundstück hatte seinen eigenen Brunnen. Entlang der Piggenstraße lagen sie wie an einer Perlenschnur aufgereiht in relativ gleichbleibenden Abständen in den rückwärtigen Bereichen der Grundstücke. Andere Brunnen lassen erkennen, dass sich ihre zugehörigen Hausstätten zum Alten Markt und zur Straße Welle orientiert haben. Die im 13. Jahrhundert angelegten Brunnen belegen die engräumige Parzellierung des Geländes zur Zeit der Stadtgründung und ermöglichen neue Erkenntnisse zum Zuschnitt der Hausstätten in der Frühzeit der Stadtgeschichte. Zugeschüttet wurden einige Brunnen übrigens erst nach dem Bombenangriff auf die Stadt am 30.09.1944; sie spendeten also über 700 Jahre Wasser!

Das Gegenstück zu den Brunnen bilden als Orte der Entsorgung von Fäkalien die Kloaken. Bisher konnten vier dieser Anlagen aus dem 13. bis 15. Jahrhundert aufgedeckt werden, sowohl als gemauerte Schächte als auch in Form von in den Boden eingelassenen Fässern (Abb. links). Die Misthaufen zur Abfallbeseitigung lagen vermutlich vor den Häusern auf der Straße. Abfälle entsorgte man aber auch in tiefen spätmittelalterlichen Gruben, die zahlreiche Funde erbrachten (Abb. Mitte). Rätselhafter sind dagegen Befunde wie ein einzeln im Boden eines Kellers vergrabener Kugeltopf des 13./14. Jahrhunderts (Abb. rechts).

Schwergewichtiger Fund: Dieser mit dem Relief einer doppelschwänzigen Nixe verzierte Stein gehörte einmal zu einem Bauwerk aus dem 16./17. Jahrhundert. Er wurde in späterer Zeit bei Umbauten auf dem Gelände in einem kleinen Abwasserkanal wieder verbaut.

Nach den umfangreichen Ausgrabungen in den frühen 2000er Jahren am heutigen Welle-Parkhaus entpuppte sich die aktuelle Ausgrabung im Herzen von Bielefeld schnell als weiteres stadtgeschichtliches Juwel. Die umfangreiche und komplexe Befundlage zeigt auch hier eindrucksvoll, wie die Menschen zu verschiedenen Zeiten das Gelände nutzten, wie sie es einteilten, neu verteilten und wieder überbauten (s. Abb. Reliefstein). Damit lässt sich nun die Baugeschichte einzelner Hausstätten auf den straßenabgewandten Arealen des Geländes teilweise lückenlos rekonstruieren.

Während das Grabungsteam mit den stadtgeschichtlichen Befunden gerechnet hatte, hielt die Ausgrabung aber auch noch eine völlige Überraschung bereit: Befunde mit Keramikscherben aus der  jüngeren Bronze- oder frühen Eisenzeit zeigen, dass hier auch schon zu einem Zeitpunkt vor etwa 2500 bis 3000 Jahren Menschen gesiedelt haben müssen. Holzkohle aus einer Grube wird nun mit der Radiocarbon-Methode datiert, um das Alter dieser Besiedlung näher eingrenzen zu können. Diese Funde sind auch deswegen so interessant, weil in Ostwestfalen-Lippe bisher noch keine bronzezeitliche Siedlung ausgegraben werden konnte, während es dagegen zahlreiche Grabfunde gibt.

Und auch nach dem Ende der Ausgrabungen bleibt es spannend, denn dann folgen die umfangreichen Auswertungen dieser wichtigen Stadtkerngrabung!

Text: Julia Hallenkamp-Lumpe