Christianisierung und Glockenguss

23.06.2016 Carolin Steimer

Auf den ersten Blick unscheinbar, aber eine Rarität: Die älteste Glockengießergrube Deutschlands. Foto: Jentgens & Partner

Auf dem Kontinent gibt es nichts Älteres

Dass im Dülmener Boden reiche mittelalterliche Geschichte verborgen liegt, war für die Archäologen des Fachreferates für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie nicht wirklich ein Geheimnis. Was dann bei den Ausgrabungen auf dem Gelände des künftigen Intergenerativen Zentrums zum Vorschein kam, hat jedoch für mehr als eine gewaltige Überraschung gesorgt. Es war eine echte Sensation – über die westfälischen Grenzen hinaus. Denn die Glockengussgrube, die hier unter den Werkzeugen der Ausgräber auftat, gehört zu den ältesten nachgewiesenen auf dem Kontinent und könnte sogar die älteste sein.

 

Schwarze Holzkohle, roter Lehm, grünliche Bronzereste, Fragmente von Keramik und Tiegeln: Auf den ersten Blick sieht die Grube mitten im Dülmener Stadtkern für den Laien wenig spektakulär aus. Mithilfe der Holzkohle kann anhand der Zerfallszeit der Kohlenstoffatome das Alter genau bestimmt werden. Bislang gibt es nur in Ungarn und England jeweils nur einen vergleichbar frühen Befund. Feuerungskanäle, Teile des Gussmantels, winzige Reste vom Glockenguss: Das alles sind Indizien, die von den Archäologen akribisch dokumentiert werden. Der 3-D-Scanner kommt zum Einsatz und verwandelt alles mit akribischen Aufnahmen jedes noch so winzigen Details in eine dreidimensionale Ansicht. Filmteams vom Fernsehen und Journalisten stehen fast Schlange, um über den besonderen Fund zu berichten. Plötzlich wird aus Routine ein regelrechtes Abenteuer.

Mit dem 3-D-Scanner im Einsatz: Dr. Gerard Jentgens. Foto: LWL/Burgemeister

Für Grabungsleiter Dr. Gerard Jentgens ist die Glockengussgrube darüber hinaus auch ein eindeutiger Hinweis auf die viel diskutierte Frage über die Ursprünge Dülmens und seiner Pfarrkirche. „Die lassen sich nun in der frühen karolingischen Zeit fassen. Einer Phase, in der Westfalen missioniert wurde und die erste Kirchenorganisation entstand. Hier wurde die Glocke für die erste Dülmener Pfarrkirche gegossen“, betont Jentgens. So verordnete Karl der Große für sein Herrschaftsgebiet, dass die Priester die Kirchenglocken zu läuten haben. 817 wurde festgelegt, dass jede Pfarrei eine Glocke haben muss. „Mit dem Glockenschlag hält erstmals ein Zeitmaß Einzug in den Ablauf des täglichen Lebens. Die Glocke ruft die Bevölkerung nicht nur zum Gebet und zum Gottesdienst, sie transportiert auch andere Informationen, wie z. B. Warnungen vor Gefahren in ein weites Umfeld. Damit stellt die Glocke ein wichtiges Informationsmedium des Mittelalters dar", erläutert Dr. Hans-Werner Peine von der LWL-Archäologie Westfalen. „

 

Die einzigartige Glockengießergrube kam im Zuge von Ausgrabungen zum Vorschein, die im Vorfeld der Errichtung des Intergenerativen Zentrums im Dülmener Stadtkern seit 2015 durchgeführt werden. Sie betreffen die Keimzelle des seit 889 erstmals belegten Weilers Dülmen. Ein 1137 erwähnter Haupthof des Bischofs von Münster wird von der historischen Forschung nördlich der Baumaßnahme lokalisiert, südlich davon befindet sich die Pfarrkirche St. Viktor. Die Ursprünge Dülmens waren bislang viel diskutiert. Mancher Forscher vermutet neben den im 9. Jahrhundert erwähnten Höfen auch eine „Urpfarrei“ um 800. Andere plädieren für eine Kirchengründung im 11. Jahrhundert und beziehen sich auf ein Weihedatum von 1074. Die neue Entdeckung der Archäologen gibt hier nun erstmals eine eindeutige Antwort.

Ortsbesichtigung der Politik. Foto: Jentgens & Partner

Friedhof und Totenkronen

Die Stadt Dülmen und die Kirchengemeinde St. Viktor sind begeistert von den aktuellen Ausgrabungsergebnissen. „Es ist beeindruckend, was diese für den Laien so unscheinbar wirkenden Steine und Formen im Erdboden über die Geschichte unserer Stadt verraten“, kommentiert Bürgermeisterin Lisa Stremlau bei einem Ortstermin nicht ohne Stolz. Auch Pfarrdechant Markus Trautmann von der Kirchengemeinde St. Viktor ist beeindruckt: „Es geht einem schon nahe, den allerersten Spuren der Christianisierung des Münsterlandes hier in Dülmen buchstäblich und materiell zu begegnen!“ Später wurde die Glockengussgrube für eine Buntmetallwerkstatt des bischöflichen Haupthofes genutzt.

 

Die aktuellen Ausgrabungen beleuchten auch jüngere Epochen der Dülmener Stadtgeschichte. So sind Häuser, Wege, Brunnen und vieles mehr aus der mittelalterlichen und neuzeitlichen Stadt östlich von Rathaus und Markt zu Tage gekommen. Darunter auch der an der Kirche gelegene Friedhofsbereich. Vielen Bestatteten des 18. und 19. Jh. sind u. a. Totenkronen mit ins Grab gegeben worden. Sie ahmen Brautkronen nach, indem sie mit Perlen, kleinen Spiegelscheiben und bunten Stoffen geschmückt sind. Diese Kronen sind in Westfalen bisher äußerst selten und beleuchten die Konfessionalisierung des Bestattungswesens nach der Reformation.

So spiegeln die Grabungsbefunde die fast 1200-jährige Geschichte der Dülmener Kirchengemeinde beeindruckend wieder. Insbesondere der herausragende Befund der Glockengussgrube, frühes Zeugnis der Christianisierung der Sachsen, hat eine weit über Dülmen und über Westfalens Grenzen hinausreichende Bedeutung.

Filmclip über die Glockengießergrube in Dülmen.