Als die „Damen“ heimisch wurden

06.07.2015 Carolin Steimer

Einblicke in Herfords vorstädtische Siedlungsgeschichte

Als Anfang April 2015 bei Bauarbeiten in der Clarenstraße zahlreiche Befunde unter der Baggerschaufel zutage traten, rief dies die LWL-Archäologen auf den Plan. Ein Grabungsteam rückte aus, um die aufgedeckten Zeugen der Herforder Vergangenheit  zu untersuchen und zu dokumentieren.

Die ersten Funde deuteten zunächst auf eine Hofanlage des 11.-13. Jahrhunderts hin. Im Laufe der fast achtwöchigen Notgrabung auf zwei Teilflächen des Baugeländes kamen dann aber Befunde hinzu, die das Alter dieser Siedlungsstelle in die Zeit um 800 n. Chr. zurückverlegen. Das ist besonders spannend, weil zwar die Ursprünge des um 800 gegründeten Herforder Damenstifts gut erforscht sind, das Siedlungsumfeld bisher aber so gut wie unbekannt ist.
Drei Höfe, die zur Zeit dieser Stiftsgründung existiert haben sollen, können heute nicht mehr genau lokalisiert werden. Die neu entdeckten Siedlungsspuren an der Clarenstraße lassen nach ersten Auswertungen die Aufsiedlung des Geländes ab etwa 800 erkennen und erlauben damit erstmals Einblicke in die vorstädtische Besiedlungsgeschichte Herfords.
Auf der ersten Grabungsfläche fanden wir drei im Abstand von etwa 5 bis 6 m parallel zueinander verlaufende Reihen runder bzw. rechteckiger Hauspfostenlöcher sowie zahlreiche weitere Pfostenlöcher. Die Pfostenreihen gehörten zu einem nordwest-südost-ausgerichteten Haupthaus eines Hofes, das hier mehrmals an gleicher Stelle leicht versetzt wieder aufgebaut wurde.

Vom südost-nordwest-ausgerichteten Grubenhaus zeichnen sich die Gruben der dachtragenden Pfosten und die Gräbchen der Holzwände deutlich ab

Zu dieser Hofstelle gehörten außerdem verschiedene Gruben, bei denen es sich um kleinere Abfallgruben oder Lehmentnahmegruben gehandelt haben dürfte. Einige Meter nordöstlich des Haupthauses konnte das Grabungsteam dann kurz vor Beendigung der Arbeiten auf der ersten Teilfläche noch ein Grubenhaus freilegen. Die in diesem Gebäude geborgenen Keramikscherben zeigen, dass es schon im 9. Jahrhundert wieder verfüllt wurde.

Auf der Rechteckfibel bilden die mit Email eingelegten Zellen ein Kreuzmotiv

In das 9. Jahrhundert datieren auch zwei Lesefunde von diesem Hofareal: Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter fand im Aushub der Baustelle zwei Emailscheibenfibeln aus der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts; sie gehören also in die Nutzungszeit des Grubenhauses. Bei diesen besonderen und ungewöhnlich gut erhaltenen Stücken handelt es sich um eine Rechteckfibel mit grünem und blauem Zellenemail und eine Heiligenfibel.

Die Doppelheiligenfibel mit rotem Grubenemail ist eine der am besten erhaltenen derartigen Stücke aus Westfalen-Lippe

Doch die Überraschungen waren damit noch nicht zu Ende! Denn: Auf der zweiten Teilfläche der Baustelle stießen wir schließlich noch auf einen weiteren sehr wichtigen Befund: Von anderen Befunden und einem aufgedrückten Mischboden fast völlig überlagert tauchte plötzlich ein von Westen nach Osten über die ganze Grabungsfläche verlaufender Graben auf. Solche Gräben dienten im frühen Mittelalter als Umgrenzungen für einzelne Hofstellen oder auch als Flurgräbchen. Der Graben an der Clarenstraße enthielt nur sehr wenig Fundmaterial und hatte eine völlig homogene Einfüllung., Außerdem zeigen Schaufelspuren auf der Sohle des Spitzgrabens, dass seine Erbauer ihn gründlich sauber hielten und er später in einem Zug verfüllt wurde. Die im Graben entdeckten Keramikscherben belegen eindeutig, dass dies spätestens in der Zeit um 800 stattgefunden haben muss und damit genau in der Zeit, als auch das Damenstift gegründet wurde!

Der Graben ist nach unten unregelmäßig spitz zulaufend geformt

Der Graben aus der Zeit um 800 und die Gründung der Hofstelle im fortgeschrittenen 9. Jahrhundert sind wichtige Zeugnisse für den zunehmenden karolingerzeitlichen Landesausbau im Umfeld des berühmten Herforder Damenstiftes. Nachdem der frühmittelalterliche Hof bis ins 12. Jahrhundert bestanden hatte, wurde er schließlich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Zuge der Stadtgründung in das ummauerte Stadtgebiet einbezogen, was wir an Gruben mit entsprechendem Fundmaterial aus dieser Zeit erkennen konnten.


Die Ausgrabungen an der Clarenstraße haben einen äußerst wichtigen Beitrag zur bisher kaum erforschten Siedlungsgenese der Stadt Herford geleistet. Und: Im Rahmen des Neubauprojektes wird im Laufe des Jahres noch eine weitere Fläche erforscht werden – wir hoffen auch hier auf weitere spannende Erkenntnisse!

Text: Julia Hallenkamp-Lumpe

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