Tierische Archäologie

01.02.2019 Carolin Steimer

Schafweide mit ausgepflocktem Bauvorhaben (LWL-Archäologie für Westfalen, AS Olpe/A. Koch)

Urgeschichtliche Befunde in Geseke (Kreis Soest) entdeckt

Freitagmorgens, 6.35 Uhr. Bei -5°C fahren drei Mitarbeiter der Außenstelle Olpe in das rund 150 km entfernte Geseke. Im nordwestlichen Areal des Städtchens soll ein kleines Einfamilienhaus entstehen. Planungsunterlagen, Karten und Luftbilder zeigen eine noch unbebaute Parzelle inmitten eines Wohngebietes, die nächste archäologische Fundstelle (eisenzeitliche Siedlungsspuren, die 2011 entdeckt worden waren) liegt knapp 300 m weiter südlich. Sicherlich, urgeschichtliche Siedlungen dehnten sich bisweilen hektarweise aus, doch was soll bei diesem baulichen Lückenschluss auf der Fläche eines Einfamilienhauses schon an archäologischer Substanz zu erwarten sein?

Nicht vollends überzeugt, aber durch Entdeckerdrang und die Hoffnung auf milderes Klima beseelt, wird das Sauerländer Mittelgebirge zurückgelassen. Bei Wochenendplanungen und guter Musik geht die Fahrt zügig vonstatten und alsbald starren sechs Augen auf den Ort des Geschehens: Von einer eingezäunten Weide blöken uns ein paar Kamerunschafe einen „Schönen Guten Morgen!“ herüber und aus einem Stall schallt Hühnergegacker an unsere Ohren. Lediglich ein zugefrorener Minibagger zeigt an, dass sich niemand verfahren hat. Wortlos ist man sich einig – was soll das nur werden?

Zum vereinbarten Termin treffen die gutgelaunte Familie des Bauherrn und der Baggerfahrer ein. Schnell ist erklärt, dass – trotz aller Zweifel – die archäologische Begleitung des Oberbodens sinnvoll ist. Hellwegregion bleibt eben Hellwegregion, hier wurde schon „immer“ gesiedelt. Ein Stück des Zaunes ist schnell geöffnet, ohne das eines der Tiere entweicht. Der Baggerbediener begibt sich auf seine archäologische Jungfernfahrt – nicht jeder hatte schon einmal Kontakt mit der Archäologischen Denkmalpflege. Alle folgen. Vollgepackt mit Werkzeug, Vermessungsgerät und Fotoapparat geht es zum ausgepflockten Bauvorhaben. Unter unseren wachsamen Augen wird jetzt die oberste humose Schicht des Bodens abgetragen. Unter dieser treten im Idealfall die Spuren unserer Vorfahren zu Tage. Schaufel für Schaufel wird fast voyeuristisch auf den Boden gestarrt. Nichts passiert.

Bearbeitung der Befunde (LWL-Archäologie für Westfalen, AS Olpe /T. Poggel)

Doch Minuten später steigt die Spannung: Eine verlagerte Keramikscherbe tritt zu Tage. Wo sie herkommt, weiß niemand. Aber nun steigt plötzlich die Wahrscheinlichkeit, dass noch mehr im Boden verborgen sein könnte. Wenig später werden die nächsten Spuren gesichtet, kleine Rotlehm-Fragmente und Holzkohlestückchen. Auf ein Zeichen hin zieht der Fahrer noch einmal vorsichtig mit der Schaufel über die angezeigte Stelle. Freude macht sich breit, denn der sonst helle Unterboden besitzt eine auffällig dunkle Verfärbung. Ab jetzt geht alles ganz schnell.

Einer begleitet die weitere Baggerei, die anderen beiden bearbeiten den Befund. Er wird soweit „geputzt“, bis seine Ausdehnung, Farb- und Konsistenzunterschiede deutlich erkennbar werden. Eine fotografische, vermessungstechnische und beschreibende Dokumentation folgt. Um den Befund auch in der dritten Dimension zu erfassen, wird ein Profil angelegt, welches gleichfalls dokumentiert wird. Noch zwei weitere Befunde können auf der kleinen Fläche entdeckt werden, doch deutlich mehr, als man zu Beginn erwartet hatte.

Nachdem der Motor des Baggers verstummt, stellt sich neugieriges Treiben ein. Menschen, Hühner und Schafe beobachten die archäologischen Arbeiten. Zwei rundliche, durchschnittlich 1,30 m große und 0,20 m tiefe Gruben und die Reste eines Pfostens lassen bei dem Bauherrn zahlreiche Fragen aufkommen. Interessiert wird alles beobachtet, man scherzt über die Siedlungskontinuität und freut sich über die Archäologie in der zukünftigen Küche.

Wenig später ist die Arbeit vollbracht. Mit dem Gefühl erfolgreich gewesen zu sein und ein winziges Stückchen kulturelles Erbe für die Nachwelt gerettet zu haben, wird die Rückreise in die Außenstelle Olpe angetreten. Tage später eine weitere Überraschung. Die zahlreiche geborgene Keramik aus den Befunden ist vor Ort zunächst als eisenzeitlich datiert worden.

Neolithische Keramik? (LWL-Archäologie für Westfalen, AS Olpe /T. Poggel)

Gewaschen und unter den prüfenden Blicken der Archäologen werden aber andere Stimmen laut. Worte wie „interessant“, „unbekannt“ und „älter“ fallen. Gespannt blicken wir nun auf die Radiokarbondatierung der aus den Befunden geborgenen Holzkohlen und erhoffen eine neolithische Datierung. Für eine Baustelle, von der wenig erwartet worden ist, wäre dies ein krönender Abschluss.

Thomas Poggel 

Literaturhinweis

2017 haben wir zur Ur- und Frühgeschichte in der neuen Ortschronik Geseke einen Beitrag verfasst, der in unserer Literaturdatenbank einsehbar ist.