„Schon wieder“ ein Fund des Neandertalers vom Haarstrang

27.08.2020 Carolin Steimer

Rekonstruktion des Neufundes eines Neandertaler-Werkzeugs vom Haarstrang nördlich Fröndenberg: Die Spitzenpartie des aus Kieselschiefer gefertigten „Keilmessers“ ist modern gebrochen, kann aber anhand von Vergleichsstücken rekonstruiert (blaue Linien) werden. Die orangen Linien bezeichnen die modernen Bruchkanten. – Grafik: LWL-AfW Olpe/Michael Baales

Michael Becker findet ein Keilmesserfragment nördlich von Fröndenberg (Kr. Unna)

Michael Becker aus Fröndenberg muss ich der „Fangemeinde“ der südwestfälischen Archäologie eigentlich nicht mehr vorstellen. Seit Jahrzehnten sucht und findet er auf den Äckern um Fröndenberg und Umgebung in großer Zahl Steinartefakte. Oft aus dem Neolithikum, aber auch von wenigen älteren Fundstellen sind seinem geschulten Auge schon unzählige Stücke „untergekommen“. Einige seiner Funde sind mittlerweile auch schon publiziert worden.

Ein – wenn nicht  d e r  – Höhepunkt seiner unermüdlichen Tätigkeit war im November 2018 der Fund eines kleinen Faustkeils, den zuletzt ein Neandertaler vor rund 50.000 Jahren in Händen gehalten hatte. Zwar konnte er zuvor schon einige Stücke finden, die sicher älter als „das übliche“ Fundmaterial aus der (vor allem) Jung- und (viel seltener) Mittelsteinzeit sind, aber der Faustkeil war ohne Frage Finderglück. Ein derartig altes Steingerät auf den intensiv beackerten Flächen am Südrand der Soester Börde bzw. auf dem Haarstrang zu finden, ist ein echter Glücksfall.

Der sich nun wiederholte. In dieser Woche bekam ich eine Tüte mit einem dunklen Stein und dem Funddatum 17.8.2020 und der Frage: „Ist das ...?“ – Jawohl, ist es! Wieder ein typisches Steingerät aus der Zeit der späten Neandertaler.

Nur ein geübtes Auge erkennt in dem 7,7 cm großen, dunklen Stein ein vom (Ur-)Menschen bearbeitetes Werkzeug. – Foto: LWL-AfW Olpe/Michael Baales

Das Fundstück ist aus einem dunklen Kieselschiefergeröll gefertigt; die Basis besteht noch fast vollständig aus der natürlichen Rinde des Gerölls, während Teile der Flächen mehr oder minder stark bearbeitet wurden. Diese Oberflächen sind seifig, d.h. relativ stark verwittert. Bei dem Alter kein Wunder. Was fehlt ist jedoch die Spitzenpartie. Sogenannte „Pflugrostspuren“ zeigen, dass – wie auch schon beim Faustkeil – moderne Ackergeräte hier ihr zerstörerisches Werk getan hatten. Die deutlich stumpfere Farbgebung der modernen Bruchflächen lässt sich gut von den alten Flächen abgrenzen. Die beiden (weitgehend fehlenden) Seitenkanten konvergierten einst in unterschiedlichem Verlauf zu einer Spitze, wobei nur die relativ gerade Kante wirklich scharf, also schneidend war.

Alle Merkmale eines „Keilmessers“ sind vorhanden (vgl. M. Baales et al. 2013), die für die Spätzeit der Neandertaler in Mitteleuropa typisch waren; es ist damit in etwa so alt wie der erwähnte kleine Faustkeil.

Keilmesser dieser Art sind im südlich gelegenen Sauerland aus den dortigen Höhlen – besonders der Balver Höhle – vielfach bekannt. Auch hier bestehen sie vornehmlich aus Kieselschiefergeröllen. Es ist nicht auszuschließen, dass wir mit dem Fund nun den „umgekehrten“ Wanderweg einer Neandertalergruppe fassen können, denn aus der Balver Höhle stammen auch einige Fundstücke aus Feuerstein, der in der Region nicht vorkommt, wohl aber am Haarstrang und weiter nach Norden zu finden ist; hier hatten sich demnach die Neandertaler, bevor sie zur Balver Höhle in das Sauerland zogen, zunächst aufgehalten und auf ihrem Weg nach Süden auch Werkzeuge aus Feuerstein mitgeführt. Vielleicht hatten die Neandertaler aber auch nur von den wenig südlich der Fundstelle gelegenen Ruhrterrassen ein gut zu bearbeitendes Kieselschiefergeröll aufgesammelt, um daraus dann ihr typisches Schlachtmesser zu fertigen.

In jedem Fall „schon wieder“: Glückwunsch, Michael!

Michael Baales

 

Literatur:

Michael Baales, Hans-Otto Pollmann & Bernhard Stapel (2013): Westfalen in der Alt- und Mittelsteinzeit. Darmstadt.

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