Ein ganz besonderer Platz in Bentfeld

11.05.2021 Corinna Hildebrand

Zunächst sah es so aus, als wäre an dieser Stelle ein stark gestörtes Gräberfeld mit Brandgrubengräbern aus der Zeit um Christi Geburt erfasst worden (vgl. hierzu: https://www.lwl-archaeologie.de/de/blog/brandgraeber-nahe-des-roemerlagers-anreppen-entdeckt/). Schon bald zeigte sich aber, dass wir es mit einer anderen Art von Befund zu tun hatten, der wohl weder ein Gräberfeld, noch eine „Müllkippe“ für Siedlungsabfall war (vgl. hierzu den Vorbericht).

Diese Tafel informiert über den Zwischenstand der Grabung 2015. (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/U. Rode).

Die Ausgrabungen von 2015 und 2016 (vgl. älterer Blogbeitrag) legten den nördlichen Teil eines verlandeten Altarms der Lippe frei.

Die Brandstellen waren nur noch schwach erhalten, aber deutlich erkennbar (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/E. Manz).

An dessen Westufer lagen einige perlenschnurartig aufgereihte Brandstellen. In diesen fanden sich Keramikscherben, unverbrannte und verbrannte Tierknochen, Holzkohle, Steine und Brocken aus verziegeltem Lehm.

Das Profil zeigt die dunkelbraune Mudde unter der grauen Lehmschicht und über den natürlich anstehenden Kies- und Sandschichten (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/J. Hallenkamp-Lumpe).

Der Altarm selbst enthielt eine sogenannte Mudde, ein dunkelbraunes Auenlehmsediment, das oben zäh und fest, nach unten aber immer lockerer und humoser wurde und mit kleinen Pflanzenresten durchsetzt war.

An dieser Stelle bildeten die Funde auf der Oberfläche der Mudde und in direkter Nähe zu zwei Brandstellen ein regelrechtes „Pflaster“ (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/J. Hallenkamp-Lumpe).

Im verfestigten oberen Abschnitt dieser Mudde lagen in der Osthälfte des Altarms zahlreiche Keramikfragmente der Zeit um Christi Geburt, Tierknochen, Steine und Holzreste, unter letzteren auch etliche mit Bearbeitungsspuren.

Natürlich verstürzte Hölzer im nordöstlichsten Abschnitt der Ausgrabung (Foto: Westfälische Wilhelms-Universität Münster/S. Luke).

 In der westlichen Hälfte des Altarms fanden sich in dieser oberen Schicht der Mudde dagegen fast nur noch Hölzer.

Der graue Schwemmlehm lag bei der Entdeckung der Fundstelle bereits 14 Tage bei extremer Hitze offen und war dadurch stark ausgetrocknet (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/J. Hallenkamp-Lumpe).

Über den Brandstellen, die am Rand des Altarms auf der dort festeren Oberfläche der Mudde angelegt worden waren, und über der gesamten Fläche lag eine einheitliche, graue Lehmschicht. Sie war durch ein Hochwasser entstanden, das den Platz auf einen Schlag versiegelte und so dafür sorgte, dass die fragilen Brandstellen erhalten blieben.

Dieser Ast sollte einzige Holzfund der gesamten Ausgrabung bleiben, der dendrochronologisch datiert werden konnte (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/J. Hallenkamp-Lumpe).

Ein Ast, der genau am Übergang zwischen der Mudde und der Schwemmschicht lag, konnte dendrochronologisch auf Oktober 3-März 4 n. Chr. datiert werden; somit musste die Überschwemmung ebenfalls in dieser Zeit oder – gemessen am Zustand des Astes – recht bald danach stattgefunden haben.

Nach dem Abschluss der Grabungen war klar, dass zu diesem besonderen Platz eine umfangreiche Bearbeitung unter Einbeziehung verschiedenster Wissenschaften nötig sein würde.

Zahlreiche geborgene Nassholzfragmente müssen bestimmt und untersucht werden (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/J. Hallenkamp-Lumpe).

Ziel sollte es neben der archäologischen Aufarbeitung sein, aus dem geborgenen Material durch naturwissenschaftliche Analysen so viele zusätzliche Informationen wie möglich zu gewinnen.

Bodenproben können pflanzliche Makroreste und Pollen enthalten. Aus ihnen lässt sich die Pflanzenwelt der näheren Umgebung rekonstruieren (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/J. Hallenkamp-Lumpe).

Glücklicherweise können wir dabei auf die Expertise von Kolleginnen und Kollegen aus der Geologie und Bodenkunde, der Archäobotanik (Bestimmung von Pollen, pflanzlichen Großresten, Hölzern und Holzkohlen; Landschaftsrekonstuktion) und Archäozoologie (Bestimmung der unverbrannten und verbrannten Tierknochen), der Anthropologie (Bestimmung eines menschlichen Knochens), der Isotopen- und Lipidanalyse (Bestimmung von an/in Keramik konservierten Nahrungsresten) sowie der Materialanalyse (Bestimmung von Schlacken und einem Keramiküberzug) zählen. 14C-Analysen und dendrochronologische Bestimmungen sind maßgeblich für die genaue zeitliche Einordnung der Fundstelle.

Diese interdisziplinären Analysen wurden bzw. werden von verschiedenen Institutionen in Krefeld, Köln, Bochum, Schleswig, Mannheim und Tübingen durchgeführt, wobei sie je nach Art und Menge des Materials und der angewandten Verfahren unterschiedlich viel Zeit bis zum Vorliegen von Ergebnissen benötigen.

Was war im Topf? Verkohlte Speisereste an Keramikscherben können darüber Aufschluss geben (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/C. Hildebrand).

Etliche Untersuchungen sind bereits abgeschlossen, andere Analysen und die archäologische Gesamtauswertung der Fundstelle laufen derzeit noch. Sie konnten in letzter Zeit aber u. a. durch die Möglichkeiten des Homeoffice während der Corona-Pandemie um große Schritte vorangebracht werden.

Nicht nur „Rindviecher“: Unter den zahlreichen Tierknochen sind vor allem Haustiere, aber auch einige Wildtierarten nachzuweisen (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/J. Hallenkamp-Lumpe).

Die ersten Auswertungsergebnisse legen nahe, dass es sich bei der Bentfelder Fundstelle um einen sogenannten „naturheiligen Platz“ der einheimischen Bevölkerung handelte, dessen Nutzung im 1. Jahrhundert v. Chr. einsetzte und durch die Versiegelung mit dem Schwemmlehm 3/4 n. Chr. bzw. sehr bald danach endete.

Die Lage der Bentfelder Fundstelle. (Grafik: LWL/C. Hildebrand auf Kartengrundlage DTK 25/Geobasisdaten der Kommunen und des Landes NRW © Geobasis NRW 2016)

Besonders spannend sind die Lage und die fast jahrgenaue End-Datierung des Platzes im Kontext mit dem unweit westlich davon liegenden augusteischen Römerlager in Delbrück-Anreppen und der zeitgleichen benachbarten einheimischen Siedlung, die in dieselbe Zeit wie der Platz in Bentfeld datiert. Die Vermutung liegt daher nahe, dass die beiden einheimischen Fundstellen in Zusammenhang stehen.

Dies (und mehr) genauer herauszuarbeiten bleibt das Ziel der weiteren Aufarbeitung des in dieser Form bisher einmaligen Fundplatzes in Bentfeld. Seine regionale und überregionale Bedeutung für unsere Kenntnisse über das Leben der Einheimischen um Christi Geburt und über die Art ihrer Kontakte zu den Truppen im Römerlager Anreppen rechtfertigen den dafür betriebenen hohen Aufwand. Nicht zuletzt ist der Fundplatz zudem ein hervorragendes Beispiel für die Erweiterung der Erkenntnismöglichkeiten durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Archäologie und Naturwissenschaften.

 

Text: Julia Hallenkamp-Lumpe